3. Reisetag Salvador da Bahia - 04.08.2024
Es geht heute geruhsam in einen auch insgesamt entspannten Tag. Um 9:00 Uhr treffen wir unseren lokalen Guide für eine Stadtrundfahrt. Es geht mit dem Kleinbus in die Nähe des Fußballstadions, der Arena Fonte Nova, von Salvador. Das Stadion hat eine Besonderheit, die ich so noch nie gesehen habe. Man kann von außen in das etwa 51000 Zuschauer fassende Stadion hineinblicken. Es hat in etwa einem Viertel des Runds keine Tribüne. Es liegt an der Lagune, in der als Erbe der ab dem 16. Jahrhundert aus Afrika kommenden Sklaven, einige Orishas stehen. Die Sklaven mussten unter unmenschlichen Bedingungen auf den Zuckerrohrfeldern im heutigen Brasilien schuften. Die heimische indigene Bevölkerung wurde von den herrschenden Portugiesen als für die Arbeiten nicht geeignet angesehen. Und selbst unter den afrikanischen Sklaven waren nur den wenigsten noch zehn Lebensjahre hier vergönnt. Sie wurden zwangsweise zum Christentum „erzogen“, behielten aber gleichzeitig einen Teil ihrer alten Religion bei. Das führte dann zunehmend zu einer Vermischung der verschiedenen Religionen. So hatten sie eigene schwarze Heilige, und auch die Orishas in der Lagune gehen auf afrikanische Einflüsse der Religion der Yoruba zurück. Die acht Holzskulpturen sind vermenschlichte Götter, sie stehen für verschiedene Fähigkeiten bzw. Tugenden. Aus dieser Zeit stammt auch ein Erbe für ganz Brasilien, insbesondere aber für Salvador da Bahia. Die Vermischung verschiedener Ethnien und Hautfarben, so dass diese im heutigen Brasilien viel weniger bis gar keine Rolle mehr spielen. Eine viel größere Rolle spielen die eigenen finanziellen Möglichkeiten und damit einhergehend der Zugang zu Bildung. Die staatlichen Schulen sind kostenlos, aber vom Niveau und den Fördermöglichkeiten der einzelnen Schüler den privaten Schulen deutlich unterlegen. So stehen vor allem die Besucher dieser privaten Schulen weitergehende Schulen und auch Universitäten offen. Gleiches gilt übrigens für das Gesundheitssystem. Das öffentliche ist kostenfrei, die Krankenhäuser sind aber meist deutlich schlechter ausgestattet und man muss teilweise sehr lange auf Termine warten. So hat, wer es sich leisten kann, eine private Krankenversicherung. Der Mindestlohn in Brasilien beträgt im Moment etwa 1440 Real, umgerechnet etwa 240 € im Monat. Eine Arbeitslosenversicherung oder andere staatliche Unterstützung in finanziell schwierigen Zeiten gibt es nicht. So ist die soziale Absicherung vor allem die eigene Familie. Eine Berufsausbildung wie in Deutschland gibt es nicht. Das bedeutet häufig, dass ein sozialer Aufstieg nur sehr schwer gelingt. Wer in der Verwandtschaft niemanden hat, bei dem man eine Art Ausbildung machen kann, wird höchstwahrscheinlich „ungelernt“ bleiben, und damit in niedrigen Lohngruppen verharren. Ist die Familie ein bisschen wohlhabender, können die Kinder private Kurse besuchen, finden eher höher dotierte Jobs und steigen auch schneller auf. So wird das soziale Gefälle im heutigen Brasilien nur schwer aufgebrochen. Letztlich führt das dazu, dass es in Brasilien eine extreme Spreizung der Besitz-und Einkommensverhältnisse gibt. So lebt auch die Mehrzahl der etwa 3 Millionen Einwohner von Salvador in sogenannten Comunidades. Früher nannte man diese Gebiete Favelas, also einfachste Verhältnisse in kleinen Hütten und relativ niedrigen Gebäuden. Wer es sich leisten kann, zieht in eines der Hochhäuser. Dort gibt es meist einen Sicherheitsdienst und die Grundstücke sind eingezäunt. Wie in allen größeren Städten in Brasilien gibt es auch hier ein Drogenproblem, und damit einhergehend ein Problem mit Beschaffungskriminalität. Wobei überall wo wir unterwegs waren, ständig eine größere Polizeipräsenz zu sehen war. Die war meist zu dritt im Auto unterwegs, oder hatte nirgendwo einen Posten bezogen. Nicht selten konnte man bei den Polizisten auch größere automatische Waffen sehen. Bei vielen der Polizisten waren Hinweise auf „Militärpolizei“, was aber eigentlich ein Erbe der Militärherrschaft ist, tatsächlich sind das reguläre Einheiten des Bundesstaates. Auch wenn man uns empfohlen hat weder Schmuck oder andere Wertgegenstände offen bzw. leicht zugänglich zu tragen, oder nur in Gruppen unterwegs zu sein, so hatte ich nie ein beklemmendes Gefühl, als wir heute in Salvador unterwegs waren. Wobei wir heute auch nur in Barra, dem Viertel in dem sich auch unser Hotel befindet, an der Strandpromenade und in der Altstadt von Salvador unterwegs waren. Alles Orte mit erhöhter Polizeipräsenz. Die schwierigen bzw. ärmeren Viertel haben wir überhaupt nicht gesehen. Dort sehe das persönliche Gefühl vermutlich anders aus. Aber das gilt ein Stück weit sicherlich auch für die größeren Städte in Deutschland, gerade auch weil man dort die Warnsignale auch sehr viel besser kennen würde, als ein deutscher Tourist es hier in Brasilien tut.
Jetzt aber zurück zu unserem Tag. Am Stadion, wo wir wieder in unseren Kleinbus steigen, findet gerade eine Veranstaltung der Partei des gerade regierenden Präsidenten Lulu da Silva, genannt Lulu, statt. Wobei es eine größere Spaltung quer durch das Land zwischen den Anhängern von Lulu und dessen Vorgänger Bolsonaro gibt, die auch nicht immer komplett friedlich bleibt. Vom Stadion geht es in Richtung der Altstadt, die in der sogenannten Oberstadt von Salvador liegt. Die Stadt war der erste Posten der Portugiesen im heutigen Brasilien und entsprechend auch der erste Regierungssitz. Es gab eine Möglichkeit für einen Hafen, der von der Allerheiligenbucht vor dem Meer etwas geschützt wird, und liegt etwa in der Mitte der Küstenlinie des heutigen Brasiliens. Der Name der Bucht wurde übrigens aufgrund der Entdeckung an Allerheiligen vergeben. Außerdem sprach für den Ort noch ein etwa 80 m hoher relativ steiler Anstieg direkt oberhalb des Hafens, der den Ort leichter zu verteidigen machte. Auf dieser Anhöhe errichtete man dann die Stadt, dort entstand die heutige Altstadt. Unten am Hafen baute man zahlreiche Forts, um auch die Hafeneinfahrt verteidigen zu können. Im heutigen Hafengebiet stehen zahlreiche mehrstöckige Gebäude, in denen früher die Verwaltungen und die Dienstleister und Händler des Hafens ansässig waren. Viele dieser Gebäude stehen heute leer, da die Technik inklusive Strom IT-Infrastruktur veraltet war und eine Installation einer Totalsanierung bedeutet hätte. So zogen viele Firmen in neue Gebäude, die etwas außerhalb der Stadt liegen. So ist das Hafenviertel heute ein bisschen heruntergekommen. Die Stadt möchte das Viertel eigentlich gerne komplett sanieren und eine bessere Wohngegend daraus machen, allein es fehlt am Geld.
Von einem Aussichtspunkt oberhalb des Hafengeländes machen wir uns zu Fuß in die nahe gelegene Altstadt auf. Salvador da Bahia ist eigentlich die einzige Stadt in Brasilien, die überhaupt eine solche hat, und deshalb auch zum UNESCO Weltkulturerbe ernannt wurde. Wobei auch hier viele Häuser in einem eher mäßigen Zustand sind. Es wird oftmals lediglich die Fassade neu gestrichen, aber die Bausubstanz nicht angefasst. Nicht zuletzt wegen der ständigen feuchten salzhaltigen Luft, die vom Atlantik in die Stadt getrieben wird, sind viele Gebäude insbesondere der Altstadt sanierungsbedürftig. Viele der Gebäude in der Altstadt leiden auch unter Schimmelbefall. Gebaut wurden viele der Häuser von reichen Kaufmannsfamilien in den verschiedenen Hochzeiten des Zuckerrohrs, dann des Kaffeeanbaus und auch des Goldabbaus, die viel Geld in die Taschen weniger brachten. Schon damals wurde die Grundlage für die heutige große soziale Spreizung der Bevölkerung geschaffen. Nur um mal eine Zahl dazu zu nennen, 80 % des privaten Landbesitzes in Brasilien liegen in der Hand von nur 2 % der Bevölkerung. Und früher noch mehr als heute war Land die Grundlage von Reichtum. Noch heute stammen etwa 40 % des Bruttosozialproduktes von Brasilien aus der Landwirtschaft und verwandten Industriezweigen. Beim Export sind es sogar 43 %. Auch weltweit ist Brasilien mit seinen aktuell etwa 250 Millionen ha landwirtschaftlicher Nutzfläche ein Gigant. Insbesondere bei landwirtschaftlichen Massengütern wie Zucker, Sojabohnen, Mais, Kaffee, Orangensaft, Rindfleisch, Schweinefleisch und auch Geflügelfleisch zählt das Land zu den weltweiten Preisführen.
In der Altstadt von Salvador da Bahia gibt es neben den Häusern der ehemaligen Kaufmannsfamilien übrigens auch sehr viele große Kirchen und auch eine Kathedrale. Viele dieser Gebäude wurden von der damaligen Oberschicht wesentlich finanziert. Damit wollte man sicherstellen, auch ein Grabmal in einer Kirche zu bekommen, was praktisch nach damaliger Einschätzung das direkte Ticket in den Himmel war. Wenn man sich das nicht leisten konnte, also praktisch fast alle, musste man nach dem irdischen Leben mit dem Weg in die Hölle rechnen. Zu der Zeit wurden die Leichname der einfachen Leute verbrannt, oder irgendwo in der Erde verscharrt. Erst später wurden Friedhöfe durch die Laienkirchen angelegt, und nach damaliger Ansicht damit die vermeintliche Chance auf den Aufstieg in den Himmel auch für einfache Bürger deutlich verbessert. Wir besuchen auf unserer Runde eine Kirche und auch die Kathedrale, bei denen wir Zaungäste vor den weit geöffneten Toren bei gerade laufenden Gottesdiensten sind. Bei beiden Gotteshäusern, wie auch in Deutschland, werden diese nur von einer spärlichen Besucherzahl für diese großen Gebäude frequentiert. Und die durchdringenden Gesänge, werden dann doch ein bisschen vom Band unterstützt. Grundsätzlich bekennen nach jüngsten Zahlen rund 2/3 der Brasilianer sich zur römisch-katholischen Kirche. Aber er Zuspruch sinkt kontinuierlich. Der Anteil der Protestanten liegt bei etwa 22%. Einen deutlichen Zuwachs haben vor allem auf nordamerikanischen Missionskirchen zurück gehende Glaubensgemeinschaften. Diese sind teilweise in Sekten und Freikirchen organisiert. Es gibt etwa 1,4 Million Zeugen Jehovas und 225000 Mormonen. Und 15% aller Christen fühlen sich der Pfingstbewegung, die sich um das Werk des Heiligen Geistes dreht, zugehörig. Wobei es in Brasilien durchaus Überschneidungen und Vermischungen der verschiedenen christlichen Glaubensrichtungen gibt. Selbst das Christentum und Spiritismus schließen sich nicht automatisch gegenseitig aus. Man nimmt es also eher ein bisschen locker.
Als letztes besuchen wir dann das Kloster der Franziskaner Mönche in Salvador. Im Moment sind hier noch 18 aktive Mönche. Das Gemäuer und insbesondere die Kirche selbst ist von überwältigem Prunk, was eigentlich gar nicht zu den Franziskanern passt. Es wurde allein über 1 t Blattgold verbaut, das übrigens hier in Brasilien nicht weit von Salvador abgebaut wurde. Das Gebäude selbst wurde auf Kosten der portugiesischen Krone errichtet. Man scheute augenscheinlich keine Kosten. Es wurden zum Beispiel über 5000 in Portugal handbemalte Kacheln auf dem Seeweg hierher geschafft. Dazu wurden sie alle in Portugal einzeln nummeriert, dann verpackt und hier zu den großen Wandgemälden im Kreuzgang wieder zusammengesetzt. Sie alle stehen für christliche philosophische Sprüche bzw. Sinnbilder.
Der Nachmittag ist dann zur freien Verfügung. Ich besuche unter anderem noch mal einen Supermarkt, um mich mit einem bisschen was für das morgige Frühstück zu rüsten, denn es wird sehr früh losgehen. Das ist auch gleich mal eine Gelegenheit einer 100 Real Schein klein zu machen, umgerechnet etwa 16 Euro. Aber Wechselgeld scheint überall knapp zu sein, da häufig mit Karte gezahlt wird. Auch zum Abendessen geht es sehr rechtzeitig. Dazu sind wir wieder an der Strandpromenade im Stadtteil Barra unterwegs. Gegen 20 Uhr bin ich zurück im Hotel, und versuche mich dann auch schon bald hinzulegen. Dabei hoffe ich, dass ich noch nicht so ganz in der richtigen Zeitzone angekommen bin.