11. Reisetag 17.02.2011 – Pucon
Gestern Abend haben wir einen Linienbus in Richtung Süden bestiegen. Wobei wir die Luxusversion gebucht hatten. Fast schon zu vergleichen mit der Business-Klasse im Flugzeug – aber eben nur fast. Für mich persönlich war die Beinfreiheit eine Idee zu kurz. Am Vordersitz ist eine Art Auflage für die Beine, die sich etwa mit einer Neigung von 45° an den eigenen Sitz legen lassen. Mit fehlten die berühmten letzten paar Zentimeter – 5 davon hätten sicherlich schon gereicht. Aber so lagen meine Knie etwas hohl. Immerhin konnte ich schlafen, was im Flugzeugt sonst nur maximal dösen ist. Auf jeden Fall sind wir praktisch über Nacht von Santiago nach Pucon gekommen, immerhin eine Strecke von etwa 900km. Bei der Deutschen Bahn gelten Züge ab 5 Minuten als verspätet, wie das mit dem Bus auf deutschen Straßen im Fernverkehr wäre, mag ich mir kaum vorstellen. Wahrscheinlich würde man bei einer Stunde noch in glückliche Gesichter schauen, weil man den größten Staus aus dem Wege gehen konnte. Hier in Chile sind wir gar rund 10 Minuten zu früh. Herz was will man mehr. Im Bus selbst gibt es einen Fahrer und einen weiteren Angestellten der Gesellschaft, der als eine Art Schaffner fungiert. Er teilte Decken und Kissen aus, und verteilte auch am Morgen das Frühstück aus, gut das ist wieder eher weniger als „Normalo-Klasse“ im Flieger. Die Info das wir gleich in unserem neuen Quartier ein „richtiges“ Frühstück bekommen würden, erreichte mich leider zu spät – das Fresspaket war schon leer.
Hier ist die Landschaft deutlich grüner und erinnert eigentlich an deutsche Mittelgebirge inklusive Wald und Weiden, aber auch ein bisschen Getreide sieht man vorbeiziehen. Der erste richtige Halt, den ich mitbekomme, ist in Villarrica. Von hier ist es auch nur noch ein kurzer Weg nach Pucon. Die Ortschaft gehört sicherlich zu den typischen Eldorados für Outdoor Betätigungen fast jeder denkbarer Couleur. Auch wir wollen ja in den nächsten Tag dem Thema „Aktiv-Reise“ ein bisschen Leben einhauchen. Zuerst machen wir mal einen kleinen Spaziergang zu Hermann, er selbst holt mit seinem Kleintransporter unser Gepäck ab. Die ersten Schritte sind für meine Knie nicht so die pure Erholung, man ist eben keine 20 mehr. Und dann ist da auch schon das Frühstück. Es gibt frisch gepressten Saft, Käse und Wurst – letztere ist eine Premiere auf unserer Reise, und sollte es auch bleiben. Wenn mal davon absieht, dass das was man hier für Brötchen hält, eher aufgebacken zu hoch geratene Fladen sind und es kein Schwarzbrot gibt, ist man der Glückseligkeit schon sehr nahe. Dann kommt noch Rührei – zu schön. Das Frühstück gehört nach deutschen Maßstäben in Chile nicht gerade zu den wichtigen Mahlzeiten. Aber hier ist es auf jeden Fall sehr gut. In dieser Gegend haben sich viele deutschstämmige Einwanderer angesiedelt. So findet man auch hier und da ein paar deutsche Namen. Wobei sich viele zur Zeit des zweiten Weltkriegs lieber spanisch klingerende zugelegt haben, da sie sonst leicht in Schwierigkeiten kommen konnten. Dazu gleich noch ein Wortspiel mit dem Namen des Besitzers der Cabana, in der wir die nächsten beiden Nächte verbringen werden. Das „H“ von Hermann wird praktisch nicht ausgesprochen, so habe ich anfangs immer German verstanden. Wobei mein gehörtes „G“ diesen typischen „Chhhrrrrrrrr“ Laut hatte, aber was anderes machte für meine deutschen Ohren auch keinen Sinn.
Nach dem wir unsere Zimmer bezogen haben, geht es auch schon weiter. Wir wollen eine nahegelegene Vulkanhöhle besuchen. Bevor es aber in die Höhle geht erklärt uns ein Vulkanologe einiges über die verschiedenen Typen von Vulkane bzw. die Arten der Ausbrüche. Er geht aber auch davon aus, dass unser zukünftiges Klima wahrscheinlich mindestens so stark von den Aktivitäten der Vulkane wie durch den Menschen beeinflusst wird. Vor etwa einem Jahr hatten wir in Europa ja erst ein ziemlich eindrucksvolles Erlebnis mit einem Vulkan auf Island, der mal eben praktisch den gesamten Flugverkehr in Europa lahm legte. Der Vulkan produzierte eine Aschewolke mit einer Höhe von 9000m, dabei wurden etwa 400t Lava- und Aschewolke pro Sekunde ausgestoßen. Noch mal als Erinnerung, das ist etwas das Fassungsvermögen der gigantischen Muldenkipper in der Chuquicamata Miene, die wir gesehen haben, oder 16 LKW wie sie auf unseren Straßen fahren – wohl gemerkt in der Sekunde. Man geht auch davon aus, das es im Mittelalter mehrere große Eruptionen von Vulkanen gab, und es daraus zu mehreren großen „dunklen“ Wolken über Europa gekommen ist, in deren Folge es zu Missernten und großen Hungersnöten kam. Auch in Island konnten Wissenschaftler jetzt Erdbeben im Zusammenhang mit dem Vulkanausbruch feststellen. Dieses Phänomen konnte erstmals hier in Chile bei dem Erdbeben bei Valdivia nachgewiesen werden.
Noch ein paar Sätze zu den verschiedenen Formen von Vulkaneruptionen. Man unterscheidet Eruptionen unter anderem nach der Verursachung. Die eine Variante sind Ausbrüche, die durch Gase hervorgerufen werden. Dabei entsteht im Inneren des Vulkans durch die chemische Zusammensetzung des Magmas Gas, was dann meist zu sehr explosiven Ausbrüchen führt. Die andere Variante wird durch Wasser ausgelöst. Dabei gelangt kaltes Wasser entweder direkt bis zur Magmablase oder in deren unmittelbare Nähe. Dabei führt dann das große Temperaturgefälle zu der Reaktion der Vulkans. Insgesamt gelten je nach Zählweise 1500 – 2000 bekannte Vulkane auf unserem Planeten als aktiv, etwa 10% von ihnen befinden sich in Chile. Wobei die tatsächliche Zahl der Vulkane auf der Erde deutlich größer ist. Der Unterschied ergibt sich daraus, dass man von vielen Vulkanen im Meer nur wenig bis nichts weiß. Insbesondere im Raum Indonesien sind viele Inseln durch ursprünglich unter dem Wasser liegende Vulkane entstanden, sie haben sich schlicht durch den Auswurf von Magma bis über die Wasseroberfläche gearbeitet. Die größte Gefahr geht aber von den sogenannten Supervulkanen aus. Genau auf die bezieht sich auch der Vulkanologe, wenn er sagt, das Vulkane eine sehr viel größere Auswirkung auf unser Klima haben, als die durch den Menschen verursachten Umweltverschmutzung. Zu den Supervulkanen gehört etwa der relativ bekannte Yellowstone im gleichnamigen Nationalpark in den USA. Bei den Supervulkanen sind große Caldera (span. Kessel) bekannt. Sie sehen im Prinzip wie eine Pfanne aus, bei denen der Boden durch den Gasdruck aus dem Erdinneren hochgedrückt wird, irgendwann kommt es meist im Außerbereich zu explosiven Durchbrüchen von Magma, dadurch singt der Druck und der Boden, die Caldera, sinkt wieder ab. Dadurch wird der Rand mit jeder Eruptionswelle ein bisschen höher. Von dem Yellowstone ist bekannt, das er seit etwa 17 Millionen Jahren aktiv ist, der größte Ausbruch soll nach den Wissenschaftlern 2500 Kubikkliometer Material an die Oberfläche geschleudert haben, das würden genügen um Deutschland mit einer 7m dicken Schicht zu bedecken. Ihm trauen Wissenschaftler auch den nächsten Superausbruch in „naher“ Zukunft aus. Sie reden hier von den nächsten (zig)tausenden von Jahren. Nach einer umstrittenen Theorie war der letzte Ausbruch eines solchen Supervulkans in Indonesien vor etwa 75000 Jahre. Die dortige Caldera hat eine Ausdehnung von etwa 30x100km. Sicher ist das im Bereich von mehreren 100km alles Leben zerstört wird und das anschließend wegen der gigantischen Aschewolken die Temperatur auf der Erde um einige Grad sinken wird – mit entsprechenden Folgen für das Leben auf unserem Planeten. Bei der größten Eruption des Yellowstone dürfte in einem Umkreis von etwa 350km alles Leben zerstört worden sein, dazu hat die Aschewolke für etwa 5 Jahre die Sonneneinstrahlung auf der ganzen Erde nachhaltig eingeschränkt. Wie nicht anders zu erwarten, gibt es in und um Chile auch zwei solcher Supervulkane. Im Dreiländereck Bolivien, Argentinien und Chile gibt es die Vilama Caldera und an der Grenze zwischen Argentinien und Chile der Lazufre. Die dortige Caldera von etwa 30x50km hebt sich jedes Jahr um etwa 3,5 Zentimeter.
Gegen solche Ausmaße ist der Vulkanausbruch, der zur Entstehung der Vulkanhöhle geführt hat, die wir heute besuchen wollen, praktisch nicht mehr als ein Blatt Papier, das auf die Erde fällt. Der nahe gelegene Villarrica Vulkan hat hier bei einem Ausfluss von Magma die Höhle geschaffen. Dabei ist das an der Oberfläche fließende Magma erkaltet und schließlich erstarrt. Das darunter befindliche weiterhin heiße Magma ist weiter geströmt und hinterließ die Höhle. Sie ist etwa 250m lang. Der Eingang sieht anfangs eher wie ein Loch aus, hier ist schlicht die Decke eingestürzt und hat den Zugang zur Höhle frei gelegt. Die Oberfläche des Gesteins in der Höhle sieht an den meisten Stellen noch heute aus, als wenn gerade erst jemand eine träge Masse ausgekippt hätte. Nur ist es eben heute harter Stein. Anschließend haben wir uns auf einem kleinen Spaziergang noch die Pflanzenwelt im umgebenden Wald angesehen, wohin man allerdings erst gelangt, wenn man einen durch Wassererosion geschaffenen geschätzt 6 bis 8m tiefen zur Zeit trockenen Graben auf einer Brücke überwunden hat.
Damit ist unser Tag aber noch lange nicht zu Ende. Es kommt ja noch Nervenkitzel pur – Rafting auf dem Rio Trancura. Dazu werden wir mit Neoprenanzügen, entsprechenden Schuhen, einem Helm, und Schwimmweste ausgestattet. Dann geht es los. Das Boot wird an einer kleinen Brücke mit einem Seil die Böschung runter gelassen. Wir selbst gehen einen kleinen Umweg durch den Wald. In den Schuhen nicht wirklich schön aber gut machbar. Auf unserer Tour wird uns ein Kajak als „Rettungsboot“ begleiten. Da wir aber alle über keinerlei Erfahrung beim Rafting verfügen, gilt es erstmal ein paar grundsätzliche Dinge zu lernen. Wie fasst man das Paddel richtig an. Wie sitzt man auf dem Rand des Schlauchboots richtig, und nicht unwichtig wie platziert man seine Füße unter einem Gurt auf dem Boden des Bootes, um sich damit im Boot zu halten. Nicht völlig unwichtig noch die Kommandos fürs Paddeln. Uns schwirrt schon fast der Kopf, da kommen noch die Sicherheitshinweise. Wie ziehe ich jemanden zurück ins Boot? Wie greife ich zum Sicherheitskajak, ohne das ich meinen Retter selbst versenke? Ach ja, und dann kam noch der Hinweis, das man die Arme und Hände an der Steinen doch bitte am Körper halten möchte und die Füße voraus. Hääää, was mache ich hier? Man kann ins Wasser fallen, schon mal nicht mein Element, und dann liegen da Felsen im Wasser, gegen die man geworfen werden kann. Ähhhh nee, das will ich mal auf jeden Fall nicht, also bloß irgendwie im Boot bleiben. Also auf jeden Fall eher zu weit innen als außen auf dem Bootsrand sitzen – schluck. Da geht es auch schon los, wir steigen ins Boot. Unser Kapitän verteilt die Plätze, zusammen mit Gerd sitze ich vorne. Im Moment weiß ich nicht recht, ist das gut, oder eher unglücklich. Die nächsten 20 Minuten üben wir im hier ruhigen Fluss ein bisschen die Kommandos. Klar ist mal, wenn wir als Team koordiniert arbeiten ist es sehr viel leichter. Gerd und ich sitzen vorne und versuchen so gut es geht miteinander im Takt zu bleiben, hinter uns versucht man mit dem jeweiligen Vordermann im Takt zu bleiben. Vorne versteht man zuweilen kaum die Kommandos, aber das wird schon - hoffentlich. Unser Kapitän treibt uns immer mehr an, um Geschwindigkeit aufzunehmen. Wir finden uns zusammen, und man merkt wie wir deutlich Fahrt aufnehmen. Es folgt das Kommando die Paddel rein zu holen, wir sehen etwas vor uns Stromschnellen. Unser Kapitän erklärt noch wie die heißen und es los geht, da kippt das Schlauchboot schon nach links weg, alle bleiben im Boot, und ich bin froh, das ich rechts sitze. Aber kaum wird es ein bisschen ruhiger erklärt uns unser Kapitän auch schon was als nächstes kommt, wo die Schwierigkeit liegt und welche Kommandos vermutlich kommen werden. Kaum ist alles gesagt stürzen wir auch schon über eine Kante etwa 1,20m runter. Damit ist klar, wer vorne sitzt bekommt das volle Programm ab. Kaum sieht man wieder klar, zeigt er uns, wo sich jemand vom Team auf einem Felsvorsprung positioniert hat und fleißig Fotos macht. Aber da geht es auch schon wieder auf eine weitere noch höhere Stufe zu. Man sieht schlicht, wie vor uns scheinbar ein Stück Wasser fehlt. Aber wenn man an der Kante steht, und scheinbar vorne über fällt, ist da plötzlich mehr als genug Wasser um einen rum – und zwar überall um einen rum. Kurz darauf fährt uns unser Kapitän scheinbar gegen die Wand. Wir stehen etwas abseits vorne schräg unmittelbar vor einem Felsen am Ufer. Gemeinsam mühen wir uns ab, irgendwie das Boot da wieder weg zu kommen. Erst mit ein bisschen Hilfe des Kapitäns gelingt es uns schließlich. Bis auf das wir kurzzeitig verkehrt herum fahren, geht es munter weiter. Das Wasser fließt schnell und wir natürlich mit. Da lässt er uns auch schon wieder gegen einen Felsen rauschen, an dem wir aber durch die Strömung halb rüber geschoben werden. An ruhigeren Stellen bekommen wir die Info, was als nächstes kommt, wo die Schwierigkeit liegt, und wie das gute Stück heißt, meistens will man gerade letzteres aber nicht unbedingt wissen. Die Namen sind allesamt nicht unbedingt vertrauenserweckend. Irgendwann heißt es dann aber doch aussteigen. Vor uns liegt ein Abschnitt der Kategorie VI, und das ist definitiv zu schwer für uns Novizen, auch wenn unser Kapitän ganz offensichtlich ziemlich genau weiß, was er tut und sich in dem Fluss wahrscheinlich mit verbundenen Augen zurecht finden würde. Teilweise fährt er, teilweise führt er das Schlauchboot an einem Seil durch die Stelle und klettert selbst über die Steine. Wir laufen durch den Wald, was sich mit nassen, vollgelaufenen Neoprenschuhen als kleine Herausforderung entpuppt, insbesondere als wir abwärts an die Böschung laufen. Naja Böschung ist gut, das Wasser befindet sich vier bis fünf Meter unter uns. Wer mich kennt weiß, dass sowas nun so gar nicht mein Ding ist. Aber ein Zurück gibt es ja schon länger nicht mehr. Also runter da, die Schwimmweste befördert mich dann auch sofort wieder an die Wasseroberfläche. Und durch die Strömung treibt man auch sofort auf das Boot zu. Ein paar Züge beschleunigen das nur noch. Nur geht es nicht ins Boot sondern noch ein kleines Stück weiter durch den Wald. Super, auch noch umsonst da runter gesprungen, zumal man auch hinten herum auf einem kleinen Pfad hier her gelangen könnte. Aber zu diesem Zeitpunkt ist man ohnehin schon mit Adrenalin voll gepumpt, und will nur noch weiter. Der nächste Einstieg ist etwas knifflig, da man an ein paar Steinen mit seinem Neoprenschuhen runter muss, aber irgendwie geht es immer weiter. Unser Sicherheitskajak stürzt sich auch schon wieder in die Fluten. Auch unsere wilde Fahrt geht mit einigen spektakulären Passargen weiter. Es folgt noch eine Stufe von vielleicht 2m. Dort kam das Kommando zum Reinholen der Paddel relativ früh, anschließend sollten wir uns ducken. Hhhm das dauert und dauert … also noch mal eben sehen, wann es soweit ist. Da kippen wir auch schon nach vorne, und ich saß richtig schön mitten drin in den Fluten. Ja das kommt eben davon, wenn man nicht macht, was einem gesagt wird. Einige kleinere Stromschnellen nehmen wir noch locker, sie sind kaum der Rede wert, auch wenn sie uns am Anfang der Fahrt sicherlich einigen Respekt eingeflößt hätten. So gegen 19.30 Uhr gehen wir wieder an Land. Die dreistündige Fahrt hat riesen Gaudi gemacht, obwohl ich im Vorfeld, als nicht eben ausgemachte Wasserratte, durchaus meine Bedenken hatte. Wer mal hier oder wo auch immer sein sollte und eine solche Gelegenheit hat, dann auf jeden Fall mal probieren. Wobei sowas sicherlich vor allem vom Können des Kapitäns abhängt. Diese Tour war die „wildere“ der beiden meist gefahrenen auf dem Rio Trancura hier bei Pucon, unser Guide meinte, sie hätte den Schwierigkeitsgrad IV und an einer Stelle auch V. Das ist eigentlich nichts für Anfänger wie uns. Aber im Nachhinein kann man sagen, unser Kapitän hatte alles locker im Griff und es war daher für uns auch ungefährlich.