2. Reisetag Meknes - 18.09.2023
Nach einem reichhaltigen Frühstück, dass sogar Käse und Wurst umfasste, was ich so eigentlich nicht erwartet hatte, beginnen wir unseren Tag mit einer kleinen Stadtrundfahrt durch Casablanca. Die Stadt mit ihren etwa 4 Millionen Einwohnern ist das wirtschaftliche Zentrum des Landes. Damit einher geht auch eine große wirtschaftliche Spreizung der Bevölkerung. Es gibt die sehr reichen, aber auch die sehr armen Schichten in der Stadt. Und nach wie vor gibt es einen größeren Zuzug vom Land in die Stadt, und insbesondere diese Menschen zählen anfangs eher zu denen mit eher schwierigen Lebensbedingungen. Die Stadt ist touristisch nicht unbedingt ein Highlight des Landes. In den Straßen geht es quirlig zu, wozu auch die vielen kleinen Mopeds und Roller ihren Beitrag leisten, die sich durch den Verkehr schlängeln. Und wie fast überall auf der Welt gehören die wirtschaftlichen Zentren nicht unbedingt zu den sehr sauberen Ecken, so liegt auch in den Straßen von Casablanca ein bisschen Müll herum. Unsere kleine Runde mit dem Bus durch die Stadt führt uns vor allem zur Hassan II Moschee. Sie trägt den Namen des Vaters vom heutigen König, der während der Bauzeit von 1986 – 1993 amtierte, die Eröffnung fand übrigens anlässlich seines 60. Geburtstags bereits im Jahr 1989 statt, also mehrere Jahre vor der eigentlichen Fertigstellung. Die Moschee ist eine der ganz wenigen im Lande, die, gegen ein Eintrittsgeld versteht sich, auch von Ungläubigen, also Unreinen, vormittags im Rahmen von Führungen besichtigt werden kann, wovon wir aber keinen Gebrauch machen, zumal es dafür oftmals längere Wartezeiten gibt. Schließlich steht heute noch ein gutes Stück Fahrzeit und eine Besichtigung in Meknes auf unserem Programm. Trotzdem noch ein paar Sätze zu diesem monumentalen Gebäude. Die Moschee steht teilweise auf Säulen, und ist in den Atlantik hineingebaut. Sie hat mit fast 200 m das zweithöchste Minarett der Welt. Ein höheres gibt es lediglich seit 2019 in Algier, aber das Verhältnis mit Algerien ist ohnehin belastet, da wundert es auch nicht, dass man dem dort noch etwas draufsetzen wollte. Die Baukosten sollen umgerechnet rund 500 Millionen Euro betragen haben. Finanziert wurde sie aus Steuergeldern, wesentlich aber auch durch wohl nicht immer ganz freiwillige Spenden der Bevölkerung. Es waren rund 35000 Arbeiter am Bau beteiligt, auch hier wird gemunkelt, nicht alle sollen immer ganz freiwillig daran mitgewirkt haben. Beim Bau hat es mehrere schwere Arbeitsunfälle gegeben. Die Materialen für den Bau stammen zum allergrößten Teil aus Marokko selbst. Auf Hassan II bezieht sich auch der Entwurf der Moschee des in Marokko lebenden französischen Architekten Michel Pinseau. Der König wünschte sich ein großes Gebäude, auf das die Stadt und ganz Marokko Stolz sein könnte, und außerdem sagte er „Ich will, dass dieses Bauwerk auf dem Wasser erbaut wird, denn Gottes Thron erhebt sich auf dem Wasser. Die Gläubigen, die dorthin gehen um zu beten, stehen auf festem Grund und können dort Gottes Himmel und Meer betrachten“. Damit erklärt sich auch die exponierte Lage direkt an der Küste, außerdem kann das Glasdach geöffnet werden. Und wahrlich groß ist die Moschee, der Hauptgebetsraum misst etwa 100x200m, und bietet damit mehr als 20000 Gläubigen Platz. Im Hauptgebetsraum gibt es übrigens eine Fußbodenheizung, teilweise aber auch einen Glasboden, durch den man das Meer sehen kann. Und nachts gibt es einen kilometerlangen grünen Laserstrahl, der den Weg nach Mekka weist.
Nach dem Besuch der Moschee verlassen wir Casablanca auch wieder. Dabei fahren wir übrigens auch an „Ricks Cafe“ vorbei. Das Restaurant und Bar ist eine freie Nachbildung aus dem Jahre 2004, das sich auf dem berühmten Film Casablanca mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann von 1942 bezieht. Das Original Cafe in dem Film existierte übrigens lediglich in den Filmstudios in Hollywood und hatte keinen realen Bezug. Auffällig ist aber schon, dass es nur relativ wenige Wegweiser in der Stadt gibt. Für Unkundige sicherlich ein Problem, aber unser Fahrer scheint sich bestens auszukennen. Innerhalb der Stadt verkehren kleine rote Taxis mit drei Sitzplätzen. Die umliegenden Ortschaften erreicht man mit den weißen sechssitzigen Sammeltaxis. Darüber hinaus hat die Stadt einen Bahnhof, es gibt aber nur sehr wenige Schienenverbindung, die nur die größten Städte des Landes verbinden. Und für Casablanca deutlich wichtiger ist der große internationale Flughafen der Stadt. Gleiches gilt auch für den großen Hafen, vor dessen Einfahrt man auch von der großen Hassan II Moschee zahlreiche Frachtschiffe auf Entladung wartend sieht.
Wir verlassen die Stadt über die mautpflichtige Autobahn in Richtung Rabatt, dabei fahren wir auch ein gutes Stück die insgesamt 3500 km lange Küstenlinie entlang, bevor es dann weiter in Richtung des Landesinneren geht. Die Weiden am Rande der Straße sehen mehr als dürftig aus. Es sind ein paar Maultiere und Schafe zu sehen. Gras, insbesondere grünes Gras, gibt es praktisch nahezu keins mehr. Auch Marokko leidet aktuell unter einer langen Trockenheit. Sobald wir die Abzweigung Richtung Meknes genommen haben, gibt es am Straßenrand auch ein paar Büsche und Bäume. Bei Letzteren handelt es sich anfangs meist um Korkeichen, die im unteren Bereich auch mehrfach abgeerntet worden sind. Je weiter wir in Richtung Meknes vorankommen, desto mehr sieht man auch die schwarzen PE-Schläuche für die künstliche Tröpfchenbewässerung auf den dann teilweise grünen Feldern. Zu den angebauten Früchten zählen unter anderem auch Melonen, die aber aufgrund des hohen Wasserverbrauchs beim Anbau zunehmen umstritten im Land sind. Und für die Landwirtschaft wird viel Wasser benötigt, das mittels Pipelines aus dem Atlasgebirge in die relativ fruchtbare Gegend um Meknes rangeschafft werden muss. Im Moment vergräbt man einen neuen Rohrstrang direkt an der Autobahn, der gefühlt einen Durchmesser von etwa 1,50m hat. In Meknes gibt es durchschnittlich etwa 575 Liter Regen pro Quadratmeter und Jahr. Der fällt allerding fast ausschließlich im Winter. Die Temperaturen schwanken zwischen 15 und 35°C, nur im Januar wird es mit minimal um die 6°C noch mal deutlich kühler. Damit gilt das Klima für Marokko als vorteilhaft gemäßigt. Um Meknes herum sind Olivenbäume sehr verbreitet. Im Großraum von Meknes werden rund 38% der Olivenöl-Produktion von ganz Marokko geerntet. Aber die letzte Ernte war schlecht, im Gegenzug hat sich der Preis von Olivenöl im letzten Jahr glatt verdoppelt. Dabei hat sicherlich auch der Ukraine Krieg mit dem fehlenden Rapsöl auf dem Weltmarkt eine Rolle gespielt.
Gegen 14:45 Uhr erreichen wir schließlich unser Hotel in Meknes, wo wir gegen 15:30 Uhr wieder aufbrechen, um uns mit dem lokalen Guide für die Innenstadt zu treffen. Meknes gehört zu den vier Königsstädten in Marokko. Die Stadt wurde zwar bereits im 11 Jahrhundert gegründet, aber incl. Ihrer Festungsanlagen im Jahre 1145 nahezu komplett zerstört. Im bescheidenen Umfang wurde sie danach wieder aufgebaut, ihre Blütezeit erreicht sie dann unter Mulai Ismail, der von 1672 - 1727 Sultan im erstmals geeinten Marokko war. Er baute eine große Armee teilweise aus sudanesischen Sklaven auf, mit denen er die örtlichen Berberstämme unterwarf, aber auch die Europäer aus dem Land vertrieb, teilweise sogar europäische Sklaven von örtlichen Piraten kaufte. Er galt als grausam und blutrünstig, der auch schon mal ein Todesurteil aus einer persönlichen Laune heraus fällte, und dieses teilweise sogar selbst ausführte. Weil er den Menschen in der damaligen Hauptstadt Fes misstraute, machte er kurzerhand Meknes zu seiner Hauptstadt. Übrigens ist Meknes als einzige der vier Königsstädte Marrakesch, Rabatt, Fes und eben Meknes nur einmal Regierungssitz gewesen, unter Mulai Imail, der zu der bis heute regierenden Alawiden Dynastie gehörte. Er ließ einen großen Königspalast, eigentlich eher ein riesiges Areal, bauen, und gilt deshalb als Gründer des heutigen Meknes. Meknes kann grob in drei Teile aufteilt werden. Da ist das „neue“ Meknes, dass sich ab etwa 1920 im Art Deco Stil wesentlich unter dem Einfluss Frankreichs entwickelt hat. Dort leben etwa 440.000 der insgesamt rund 650.000 Einwohner der Stadt. Dann gibt es den Bereich des Königspalasts und die Medina, quasi die Altstadt.
Wir beginnen unsere Stadtführung auf einem erhöhten Punkt über dem Oued Boufekrane, dem Fluss, der die im Wesentlichen auf zwei Hügeln erbauten Stadt teilt. Von da geht es zum Bab el Khemis, einem der großen reich verzierten Tore in der Stadtmauer. Man unterscheidet zwischen den Schmucktoren, die mit feinen Verzierungen durch umfangreiche Mosaike versehen sind, und die Funktionstoren, die wesentlich zur Verteidigung dienten. So umgeben insgesamt drei Stadtmauern die wesentlichen Teile der Stadt bis hin zum Königspalast selbst. Die Schmucktore sind vor allem im äußeren und teilweise beim Königspalast selbst zu finden. Über den Schmucktoren steht in den Mosaiken jeweils ein arabischer Vers. Die Mauern selbst sind bis zu 4 m dick. Sie bestehen aus Ton / Lehm gemischt mit Kalkgestein und dazu pflanzlichen Fasern zum Beispiel aus Schilf. Das wurde dann zerkleinert und gestampft. Das Gemisch hat übrigens zur Klimatisierung eine überaus positive Eigenschaft, ist nur leider nicht resistent gegen Niederschlag. So müssen diese Mauern immer wieder repariert werden. Das gleiche Material hat man übrigens auch für den Bau des Königspalastes selbst benutzt. In den Mauern befinden sich mehr oder weniger regelmäßig sowohl auf der innen als auf der Außenseite relativ kleine viereckige Löcher. Sie dienten unter anderem für die Errichtung des Baugerüstes, haben aber auch eine wichtige Aufgabe bei der Aufnahme von Materialspannungen und der Klimatisierung der Wände selbst. Zum Königspalast gehörte auch eine riesige Speicheranlage mit einer ursprünglichen Länge von mehreren Kilometern. In dem Speicher wurden zum Beispiel die Lebensmittel aufbewahrt, aber auch die Pferde untergebracht. In dieser Anlage herrscht das ganze Jahr eine Temperatur von konstant 14 °C. Das ist zum einen den Lehmwänden zu verdanken, gleichzeitig gab es aber auch unterirdische Wasserkanäle unter den Speichern, und gebogene Luftkanäle zur zusätzlichen Belüftung. Der Winkel der Bögen sorgte dann automatisch für den Luftzug. Die Anlage besteht heute nur noch zu einem kleinen Teil, und auch an dem nackt an den alten Lehmwänden schon ordentlich der Zahn der Zeit. Unmittelbar vor der Anlage gibt es ein ca. 400 × 100 m großes Wasserbecken, mit einer Tiefe von etwa 4 m. All diese Anlagen dienten natürlich dazu, bei einer möglichen Belagerung der Stadt ausreichend Vorräte zu besitzen. Zum Zeitpunkt unseres Besuches ist das Wasserbecken übrigens leer, und einige Baumaschinen werkelten darin herum. Ein Problem dürfte sicherlich auch aufgrund der großen Fläche die Verdunstung gewesen sein. Uns treibt es weiter in die Koranschule neben der Moschee, die wie fast alle im Land von Ungläubigen nicht betreten werden darf. Die Koranschulen sind sehr alte Institutionen, die sich anfangs nur um Glaubensfragen kümmerten, später aber Orte von verschiedenen Wissenschaften wurden. Von außen ist die Koranschule ein eher unscheinbares Gebäude mit hohen eher abweisend erscheinenden Mauern. Die Türen sind relativ niedrig, nicht nur für die heutige Größe der Menschen, sondern wurden schon damals bewusst so angelegt. Das sollte nicht nur beim Betreten der Koranschule, sondern auch bei normalen Wohnhäusern zu einer demütigen Grundhaltung beitragen. Außerdem sorgt das dafür, dass die wärmere Luft eher draußen gehalten wird. Innerhalb der Koranschule ändert sich das Bild dann fundamental. Alle Wände sind mit Millionen kleinen Einzelmosaike, zu einem Gesamtkunstwerk zusammengefügt, verziert. Darüber hinaus sind oberhalb der Mosaike feine Stuckarbeiten und an den Decken aufwendig verzierte Decken aus Zedernholz. Im Islam sind nach traditioneller Lesart Abbildungen und Skulpturen die Menschen oder Tiere darstellen verboten, weshalb man so etwas logischerweise in der Koranschule nicht findet. Wobei das so wörtlich nicht im Koran enthalten ist, sondern eher einer allgemein anerkannten Deutung entspricht. Sie wurde wesentlich von Überlieferungen der Zeitgenossen vom Propheten Mohammed bestimmt, die allesamt darlegten, dass Mohammed derartige Dinge nicht mochte. Im nach oben offenem Innenhof der Koranschule befindet sich ein großer Marmorbrunnen für die traditionellen Waschungen vor den Gebeten. Innerhalb der Koranschule gibt es viele kleine Zimmer für die Studenten der Schule, die nicht aus der unmittelbaren Nähe stammten. Die Zimmer sind mit geschätzt kaum mehr als 2x3m sehr klein. Was aber in dem ganzen Gebäude auffällt, sind die angenehmen Temperaturen, und dass ohne jegliche technischen Geräte, alleine durch die benutzen Materialien in Verbindung mit der Architektur. So gibt es mehrere, wenn auch sehr kleine, Innenhöfe, die zwar oben ein Dach haben, aber trotzdem oben offengehalten sind. Dadurch kann dort die warme Luft nach oben aufsteigen und entweichen. Die Türen der Studierzimmer gehen alle nicht bis ganz auf den Boden, auch das sorgt wieder dafür, dass unten kühlere Luft in die Zimmer strömen kann, und auch diese relativ angenehm kühl halten.
Für uns geht es dann weiter in die angrenzende Medina, die praktisch die Gründungszelle der Stadt ist. Traditionell ist dessen Zentrum die älteste Moschee der Stadt. Von ihr wird das Gebet ausgerufen, und erst danach rufen auch die anderen Muezzins der umliegenden Moscheen der Stadt zum Gebet. Um die alte Moschee herum waren traditionell die Händler für Gold- und Silberschmuck, Parfüm, Weihrauch oder Gewürzhändler. Ebenso waren dort in unmittelbarer Nachbarschaft die Koranschule und auch Buchhändler zu finden. Dann folgten umliegend weitere Händler, und in den äußeren Bereichen der Medina dann die Wohnungen selbst. Die verschiedenen Bereiche sind wieder durch Torbögen untereinander getrennt. Die Wohnhäuser sind meist nur über Innenhöfe erreichbar, wobei die weiter im Inneren liegenden Wohnbereiche die beliebteren waren, und dann nur über kleine Sackgassen erreichbar waren. Die Wohnbereiche, die direkt an den Gassen lagen, waren eher die „billigen“. In den schmalen Gassen kann bis heute alles nur mit Lastkarren, auf dem Fahrrad oder mit kleinen Mopeds bzw. gleich zu Fuß erreicht werden. Richtige Straßen gibt es in der Medina nicht. Insgesamt hatten die Wohnungen in der Medina auch eine wichtige soziale Komponente. Innerhalb der Wohnung lebten meist drei Generationen unter einem Dach. Deshalb ist eine Wohnung in der Medina typischerweise einige Hundert Quadratmeter groß. So eine Großfamilie konnte aber auch schnell mehr als 20 Personen umfassen. Und die Großmutter ist typischerweise die Patriarchin. Die Familienmitglieder eines Hauses unterstützten sich gegenseitig und bilden damit eine Sozialgemeinschaft. Da viele jungen Familien sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend nicht mehr bedingungslos dem Wohl und Wehe einer Patriarchin unterwerfen wollten, sind immer mehr Menschen aus der Medina in die neueren Stadtteile gezogen. Damit zerbrach auch die soziale Komponente. Heute leben in der Medina eher die ärmeren Gesellschaftsschichten. Wer es sich leisten konnte, zog in die modernen klimatisierten Wohnungen außerhalb. Anders als in vielen Reiseführern beschrieben, besteht die Medina aber eben nicht nur aus einem Händlerbereich, dem Souk. Man lebte und arbeitete in der Medina.