16. Reisetag 22.02.2011 – Villa Cerro Castillo
Wir verlassen um 06.30 Uhr unsere Unterkunft auf Chiloe um nehmen mit dem Morgengrauen auch schon die Fähre in Richtung Festland. Es geht direkt zum Flughafen nach Puerto Mont. Von hier fliegen wir nach Balmaceda, also richtig hinein nach Patagonien. Am Morgen waren wir noch auf der wichtigen Verkehrsader Panamericana, die ja fast die gesamte amerikanische Pazifikküste bis nach Alaska hoch führt – genau genommen ist es eigentlich eher eine Sammlung von Schnellstraßen. Die Chilenen meinen auch, dass diese auf Chiloe ausläuft. Nur die Argentinier sehen das mal wieder anders, und für sie biegt sie in Valparaiso links ab und führt nach Buenos Aires und von dort sogar weiter bis nach Feuerland – natürlich wieder nur dem argentinischen Teil davon. Wie dem auch sei, heute Nachmittag geht es für uns auf der Carreterra Austral weiter. Sie führt auf ihren rund 1350km von Puerto Mont bis nach Villa O’Higgens, nördlich der großen Gletscher- bzw. Eiszone. An ihr wurde von 1976 bis 1999 gebaut. Je weiter man nach Süden voran kommt, desto schwieriger wurden die Bedingungen für den Bau der Straße. Das Projekt geht auf Pinochet zurück, der dabei aber auch durchaus den militärischen Sinn als Versorgungsstrecke sah. Bis dahin gab es im südlichen Teil der Strecke nur das Flugzeug oder das Boot. Wege oder gar Straßen waren günstigenfalls Stückwerk oder gar nicht vorhanden.
Landschaftlich haben wir das obere Stück mit dem Flugzeug übersprungen. Hier in Balmaceda ist die Landschaft von weniger hohen Andengipfeln und großen Weideflächen geprägt. Man sieht aber auch zahlreiche Stubben der geschlagenen Bäume, nicht zuletzt wurde hier früher durch die Rodung Weideland geschaffen. Balmaceda liegt nur wenige Kilometer von der Grenze nach Argentinien entfernt, unser Ziel für den heutigen Tag liegt noch ein kleines Stück südlicher aber dem Pazifik wieder etwas näher, wir wollen noch bis nach Villa Cerro Castillo fahren. Unser erster Halt dort ist das vielleicht bekannteste Restaurant am Ort, es würde mich aber auch nicht besonders wundern, wenn es das Einzige wäre. Der Ort ist zwar auf fast allen Karten enthalten, wohl aber auch als Markierung, das hier das Asphaltband endet, aber hier gibt es nur noch Schotterpiste. Aber zurück zu dem Restaurant. Die Karte besteht im Wesentlichen aus Hamburgern und Churrasco. Beim Hamburger ist es Hackfleich, beim Chuarssco sind es sehr dünne gebratene Fleischstückchen. Dazu dann jeweils wahlweise Zwiebeln, Tomaten, Käse oder natürlich auch Avocado. Avocados gibt es hier praktisch immer und zu fast allem was man sich vorstellen kann, oder bei manchem auch nicht vorstellen konnte. Natürlich geht auch mit allem, was bei den Chilenen auch eher die „normale“ Ausführung ist. Auf Wunsch gibt es auch eine vegetarische Variante. Das besondere ist dabei das Ambiente. Das Restaurant befindet sich in zwei Bussen, die bis zu den Türen eingegraben worden sind. Die beiden Fahrzeuge stehen unmittelbar nebeneinander, in der Mitte hat man einen Durchgang mit einer Holzverkleidung geschaffen. Im hinteren Teil des einen Busses ist die frei einsehbare Küche, im anderen der Vorratsraum. Außerdem gibt es eine Ofen und natürlich einen Kühlschrank, aus dem man seine Getränke nimmt. Wobei nicht immer alles da ist, was auf der „Getränkekarte“ steht.
Von dort geht es weiter zu unserem Quartier bei Mary für die kommende Nacht. Sie hat in ihrem Haus einige Zimmer zu Gästezimmer umfunktioniert. Wie in hiesigen Häusern üblich, besteht die Heizung aus einem Ofen in der Küche und hier sogar zusätzlich einem Kamin im Wohnzimmer. Die Zimmer sind sehr einfach und relativ klein. In meinem kann ich nicht überall wirklich aufrecht stehen, dafür ist auch ohnehin kaum Platz, meine zugegeben relativ große Tasche nimmt den meisten freien Raum ein, will man die Tür noch öffnen können. Am Tage ist die Einscheibenverglasung der Fenster kein Problem, und wir haben ja auch Sommer hier, aber im Winter stelle ich es mir hier schon „frisch“ vor.
Für den Nachmittag haben wir aber ja noch was vor. Wir machen uns mit Pferden auf eine kleine Schleife. Die Tiere sind eine Kreuzung aus chilenischen und argentinischen Pferden. Sie sind relativ klein, aber offensichtlich gut an den steinigen Boden hier gewöhnt. Nach einer kurzen Einweisung geht es los. Ich könnte jetzt nicht sagen, dass ich die geringste Ahnung vom Reiten habe. Aber mein Pferd ist ziemlich brav, und kennt wahrscheinlich den Weg von gefühlten einer Millionen Runden. Wir kommen gut miteinander aus, es lässt mir das Gefühl, dass ich die Richtung und die Geschwindigkeit bestimme. Aber wenn man ehrlich ist, wäre ich im Falle eines Falles völlig überfordert. Und in unserem Team würde das Pferd nicht nur Arbeiter sondern auch Denker und Lenker sein, ich werde da nur benötigt, damit es ein Team ist. OK, das ist vielleicht auch übertrieben. Auf etwa der Hälfte der Strecken machen wir eine kurze Rast und sind nach etwa 3,5 Stunden wieder zurück am Stall. Mir reicht es eigentlich auch, denn hier werden doch Muskeln gefordert, die ich sonst anscheinend nicht so im Gebrauch habe. Und ich meine jetzt nicht gerade das Sitzfleisch.
Am Abend gibt es für uns noch ein Asado Patagonico. Dabei wird ein Lamm oder eine Ziege, bei uns war es ein Lamm, vor dem offenen Feuer geröstet. Dazu gibt es Kartoffeln, Tomaten, Gurken und Brot. Nach dem sehr guten Mal gibt es als Abschluss noch Matetee. Matetee wird hier in einer Art Zeremonie gereicht. Mate ist ein Strauch, von dem für den Tee die Blätter und kleine Zweige geerntet werden. Diese werden etwa einem Monat fermentiert und dann kurz auf etwa 400° erhitzt. Anschließend wird er getrocknet und zerkleinert. In dem Zustand kann man ihn dann kaufen. Der Tee wird dann eine kleine Kalabasse gegeben und mit heißem Wasser aufgegossen. Die Kalabasse wird dann dem Gast mit dem zu ihm zeigenden Metall-Trinkröhrchen gereicht. Man saugt dann das Wasser / den Tee, was etwa zwei bis drei kleine Schlucke sind, aus der Kalabasse und reicht diese zurück an den Gastgeber, auch hier sollte das Saugröhrchen auf den Gastgeber weisen. So kreist die Kalabasse durch die Runde. Möchte man keinen weiteren Matetee ist die Kalabasse dankend abzulehnen. Es gilt als unhöflich keinen Matetee zu trinken, aber genauso mehr als drei zu trinken.
Die Gastgeberin berichtet beim Mate noch davon, dass man hier verstärkt auf Kräuter als Arzneien setzt. Ihre Mutter, immerhin schon 84 Jahre alt, würde sie immer noch bei Problemen mit der Gesundheit befragen. Sie wüsste immer welche Kräuter in welchem Mischungsverhältnis bei welchen Beschwerden zu nehmen wären. Ansonsten gäbe es eine Art Hilfsmediziner im Nachbarort. Das nächste Krankenhaus und auch der nächste „richtige“ Arzt wären von hier etwa zwei Stunden mit dem Auto entfernt. Da ist es dann schon besser, man kann die kleinen Wehwehchen des Alltags irgendwie selbst behandeln.