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8. Reisetag        Aflafal Quellen - 24.09.2023

 

Heute wird es wieder, an den Aktivitäten gemessen, ein ruhiger Tag. Das Frühstück ist für 8:00 Uhr angesetzt, und eine halbe Stunde später soll es dann losgehen. Unterwegs ist das Tempo ziemlich gemäßigt. Das Gelände weist auch keine größeren Steigungen auf, zeitweise geht es auch in einem trockenen Flussbett entlang. Entsprechend sind die technischen Schwierigkeiten ziemlich gering. Aber das relativ breite trockene Flussbett vermittelt einen Eindruck, welche Mengen an Schmelzwasser im Frühjahr hier hinunterströmen müssen.

Unser Tempo ist auch deshalb ziemlich gemäßigt, weil der Koch und zwei der Maultiertreiber an uns vorbeiziehen und dann eines der Gemeinschaftszelte aufbauen, um darin zu kochen – Luxuswandern eben. So ist fast schon eine warme Mahlzeit fertig, als wir langsam gegen 11:30 Uhr eintrudeln. Unterwegs haben wir unsere Wasserflaschen an einer der zahlreichen Quellen entlang des Flusses aufgefüllt. Trinken ist Pflicht! Immerhin wird es, nachdem die Sonne über die Berge um uns herum aufgestiegen ist, schnell deutlich wärmer. Wenn jemand viel schwitzt so wie ich, benötigt er eben ausreichend Flüssigkeit. Wobei an verschiedenen Stellen in dem breiten Flussbett immer mal wieder Wasser an die Oberfläche tritt. Man kann also wohl davon ausgehen, dass das Wasser hier unterirdisch auch jetzt im Herbst noch fließt. Nach dem Mittagessen machen wir dann noch eine ausgedehnte Mittagspause im Schatten des Zeltes. Mir kommt schon der Gedanke, was unsere Begleitmannschaft eigentlich über unser Tun hier denkt. Aus ihrer Warte zahlen wir viel Geld dafür, hier durch eine nahezu komplett trockene Landschaft zu laufen, die, wenn auch für uns ziemlich beeindruckend, für sie normal und alltäglich ist. Gleichzeitig schnaufen wir zu Fuß die Steigungen hoch, und lassen uns hier rundum mit allem was nötig ist und mehr versorgen. Auf der anderen Seite bietet es ihnen natürlich eine vermutlich willkommene Einnahmequelle. Und jetzt liegen wir im Schatten herum, weil man uns vor der intensiven Sonneneinstrahlung schützen möchte.

Erst gegen 15:00 Uhr geht es schließlich weiter. Zunächst führt der Pfad über zwei kleinere Anhöhen um in eines der Nachbartäler zu gelangen. In diesem Teil fließt dann auch ein kleiner Fluss relativ schnell. Unser Guide lässt uns, wie auch schon am Vormittag, noch ein paar Mal einen der kleinen Nebenläufe überqueren. Ein bisschen Abenteuer für unterwegs, zumal wir uns am Ende doch wieder auf der gleichen Flussseite befinden. Unterwegs kommen wir auch an einigen uralten ziemlich knorrigen Wacholderbäumen vorbei, die es irgendwie geschafft haben, sich hier unter diesen schwierigen Bedingungen zu halten. Gegen 16:30 Uhr erreichen wir dann unser Camp in der Nähe der Aflafal Quellen. Auch heute sind die Zelte längst aufgebaut, als wir das Camp erreichen, nur das Zelt des Kochs baut man gerade noch auf. Aber für ihn und seine beiden Helfer war es auch schwierig genug, uns auf dem kurzen Abschnitt nach der Mittagspause noch zu überholen. Zumal sie noch das Gemeinschaftszelt, in und um das wir die Mittagspause im Schatten verbracht haben, wieder abzubauen. Auch wenn wir wieder in einem ziemlich gemächlichen Tempo unterwegs waren. Insgesamt haben wir heute eine Strecke von 16 km zurückgelegt, dabei sind wir etwa 170 m auf- und rund 700 m abgestiegen. Da der direkt am Camp verlaufende Fluss die Möglichkeit dazu bietet, ist dann heute auch ein bisschen ausgiebigere Körperpflege angesagt. Davor muss sie noch mal sehen, ob ich die Sohlen meiner Bergstiefeln kleben kann, da sich die beiden verschieden ausgeprägt jeweils am Hacken abgelöst haben. Vermutlich ist das eine Folge des ziemlich dynamischen Abstiegs über das Schotterfeld vom Gipfel des MGoun gestern. Nachdem ich das bestmöglich unter den Umständen erledigt habe, mache mich auf, ein Stück weit den Fluss hinunter zu gehen, und mich dort ordentlich zu waschen. Beim Hinweg bin ich noch direkt am Wasserlauf entlang gegangen, zurück habe ich dann den direkten Weg genommen. Das war keine so richtig gute Idee. Denn der führt mich über die kleine Wiese, an deren Rand auch die Zelte aufgeschlagen sind. Der dichte Bewuchs hätte auch einem Golfplatz alle Ehre gemacht, zugegeben ist der Untergrund nicht so ganz eben. Aber hier stehe ich plötzlich mit meinen Schuhen mitten im Morast. Keine 10 m weiter ist es staubtrocken. Man sollte eben doch immer mit dem Unerwarteten rechnen.

Am späteren Nachmittag kommt ein kleiner Junge in unser Camp, der kleine Handarbeiten, die meist von den Frauen gefertigt werden, zum Verkauf anbietet. Wobei er dabei kein Wort sagt. Man sieht ihm deutlich an, dass ihn das Treiben und die fremd aussehenden Leute, Touristen eben, beeindrucken und gleichzeitig scheinbar auch ein bisschen ängstigen. Gleichzeitig ist er aber auch neugierig darauf, was wir denn für seltsame Dinge bei uns und auch im Zelt haben. Das alles sind Dinge, die es in seiner normalen Welt nicht gibt. Er ist unter anderem von der schwarzen Kiste beeindruckt, mit der man die Umgebung abbilden kann – meine Kamera. Viele der einfachen Leute hier möchten sich nicht fotografieren lassen, weil sie glauben, man würde ihnen vielleicht damit die Seele stehlen. Da ich den Jungen nicht mit Worten fragen kann, mache ich zunächst ein Bild von seinen Beinen, und zeige es ihm. Er scheint weiter interessiert an der schwarzen Kiste, so mache ich noch ein Bild von ihm und zeige es ihm. Es grinst, ist aber weiter sehr zurückhaltend. Wir beide stammen aus sehr unterschiedlichen Welten. Ich komme aus Sicht der hiesigen Menschen aus dem reichen Europa. Er ist der Sohn eines Schäfers, der mit seiner Familie und der Herde in den Bergen umherzieht. Ob und wie lange er eine Schule besuchen wird, ist wohl eher ungewiss. Eigentlich gibt es in Marokko die Schulpflicht für alle der 5- bis 15-Jährigen. Geht ein Kind nicht zur Schule, hat aber auch das keine nachhaltigen Folgen, sieht man von den gravierenden Nachteilen für das Kind selbst ab. So beträgt die Einschulungsquote immerhin noch 92%, von den 15-Jährigen besuchen aber nur noch etwa die Hälfte eine Schule. Und das Gefälle zwischen den Kindern in der Stadt und dem Land, und dann insbesondere noch bei den Kindern der Schäfer dürfte dramatisch sein. Und die Wahrscheinlichkeit das Mädchen vernünftig Lesen und Schreiben lernen ist allgemein noch mal geringer als bei Jungen. Im Jahre 2015 lag die Quote dafür bei Frauen bei 62,5%, bei Männern immerhin bei 82,7%. Marokko gibt seit Beginn dieses Jahrhunderts deutlich mehr für die Bildung aus, und liegt damit in der Spitzengruppe der arabischen Länder, im Ranking der Schulleistung aber nur noch vor den in kriegsähnlichen Zuständen befindlichen Ländern Jemen und Irak. So fließt ein erheblicher Teil des Geldes an weiterführende Schulen, aber in der Grundschule gibt es teilweise prekäre Zustände mit teilweise fehlenden Materialen aber auch in den unteren Stufen häufig schlecht ausgebildeten Lehrern. Der Schulunterricht findet in den ersten beiden Jahren auf Arabisch statt. Später kommt noch Berber und Französisch dazu. Wobei es insbesondere um das Französisch zunehmend eine Kontroverse im Land gibt. Viele junge Marokkaner wollen lieber Englisch oder auch Spanisch lernen. Mit Spanien treibt man viel Handel und ist das Tor nach Europa. Englisch ist die Weltsprache und zur französischen Vergangenheit gibt es eine mindestens zwiespältige Meinung im Land. Gleichzeitig sind viele Schilder aber noch in französischer Sprache. Insgesamt dauert die Grundschule in Marokko sechs Jahre. Dann folgen weitere drei Jahre auf einer weiterführenden Schule, und weitere drei Jahre sind nötig, will man die Hochschulreife erreichen.

Aber zurück zu unserem jungen Besucher und seiner Familie. Sie ziehen mit ihrer Herde dorthin, wo es für ihre Tiere etwas zu fressen gibt. Wenn der Junge zur Schule gehen soll, bleibt nur, dass er auf ein Internat geht, weitab von seiner Familie. Glück hat noch, wer dann z.B. Großeltern hat, die in einem der umliegenden Dörfer wohnen. Logischerweise haben die Schäfer bis auf den Fluss kein fliesendes Wasser, womit auch die sanitären Verhältnisse als ziemlich schwierig gelten dürften. Strom gibt es, wenn überhaupt, nur über kleine Solarmodule. Auch wenn die Schäfer wegen ihrer Tiere für die Verhältnisse auf dem Land als relativ wohlhabend gelten, sind ihre Lebensbedingungen sehr schwierig. Nur die Wenigsten haben eigene dauerhaft ausreichende Weidegründe um ihr Heimatdorf herum, so sind sie dann gezwungen umher zu ziehen. Und das ist dann wieder mit den schwierigen Lebensbedingungen verbunden, weshalb viele Marokkaner auch nicht mehr als Schäfer leben und arbeiten wollen. Die meisten Schäfer haben über das Jahr relativ feste Plätze, die sie immer wieder aufsuchen. Dort haben sie dann meist einfachste Unterkünfte und auch kleine Pferche, in die die Tiere in der Nacht getrieben werden. Tagsüber bewegen sich die Tiere frei in der Landschaft. Teilweise werden auch kleine Ställe für den Winter von den Bewohnern der kleinen Siedlungen gebaut, sie erhalten dann den Dung der Tiere als Entlohnung für die Nutzung der Ställe, mit dem diese dann ihre Felder düngen.