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18. Tag        28.10.2014 - Tortong (2995m)

Wieder beginnt der Tag kalt und klar. Auch die Anfangszeiten sind wie gewohnt, also 6:30 Uhr Morgentee, um 7:00 Uhr Frühstück und anschließend geht es dann los. Wobei wir heute nicht auf die Küchenmannschaft warten, denn für uns geht es noch ein kleines Stück nach oben. Auch die Träger lassen sich heute ein wenig mehr Zeit, bis sie losgehen. Cheram liegt in einem Talkessel, so steigen wir durch den erst relativ spät lichter werdenden Wald zügig auf. Erst deutlich über 4000 m treten wir praktisch aus dem Wald. Aber immer noch geht es weiter stetig aufwärts. Bei geschätzt 4300 m stehen wir dann auf einer Alm, auf der wir uns leicht nach links gewandt wieder den Bergen mit ihrem weißen Zuckerhut zu wenden. Auf der Alm selbst geht es relativ sanft bergauf.

Gegen 10:00 Uhr sind wir kurz vor Ramche. Eine Ortschaft, die auf allen lokalen Karten verzeichnet ist, und auch in meinem Reiseführer vorkommt. Dabei besteht sie gerade mal aus einem Haus, und das ist auch noch verlassen. Im Moment richten sich dort gerade ein paar Nepalesen ein, um ein Mittagscamp für ihre Gäste zu errichten. Wir gehen noch ein kleines Stück weiter, und mehr oder weniger direkt gegenüber liegt der Rathong mit einer Höhe von 6682 m. Leicht nach links hinten dazu versetzt liegt der Kabru, man könnte wohl auch von der Kabru Range sprechen, da er vier mehr oder weniger direkt aneinander liegende Gipfel hat. Der höchste ist 7412 m hoch. Man bezeichnet sie auch als Kabru I bis Kabru IV. Sie sind wie auch der Kangchendzönga Grenzberge nach Indien. Leider müssen wir an dieser Stelle umkehren, da wir heute im Verlauf des Tages noch ein gutes Stück absteigen wollen. Bis nach Oktang, von wo man noch mal einen schönen Blick auf die Südseite des Kangchendzönga gehabt hätte, sind es noch etwa 5 km und 150 Höhenmeter. Also eine gute Stunde hin und eine Stunde wieder zurück - zu viel für uns am heutigen Tage. Dabei wäre das sicherlich noch mal ein Highlight gewesen. Zumal uns heute auch die Sonne wieder lacht. Mit dem Team war allerdings vereinbart, dass wir gegen 13:00 Uhr wieder am Zeltplatz in Cheram zum Mittagessen zurück sein würden. So machen wir uns auf, den gleichen Weg  wieder zurück zu gehen, auf dem wir auch hergekommen sind. Vorbei an friedlich grasen Yaks.

Pünktlich am Zeltplatz der letzten Nacht angekommen, wird auch schon das Mittagessen gebracht. Inzwischen ist hier nur noch unsere Küchenmannschaft, die aus einem Koch, zwei Küchenhilfen, die auch als Träger fungieren, und einem zusätzlichen Träger besteht. In Cheram treffen wir auch noch einmal die britische Gruppe, mit der wir mehr oder weniger zusammen einen großen Teil des Aufstiegs zur Nordseite des Kangchendzönga bewältigt haben. Etwa 45 Minuten nach unserem Eintreffen in Cheram brechen wir auch wieder auf. Wobei uns das Küchenteam relativ schnell abgehängt hat. Nach etwa 1 Stunde erreichen wir Anda Phedi, wo wir nach der ursprünglichen Reiseplanung unser Camp hätten aufschlagen sollen. Da wir am morgigen Tag aber einen größeren Umweg gehen müssen, ist das Programm dahingehend geändert worden, dass wir noch weiter bis Tortong gehen wollen. Anda Phedi ist eine ähnlich große Metropole wie schon Ramche, auch hier besteht sie wieder nur aus einem Haus allerdings zusätzlich noch zwei halbverfallenen Nebengebäuden. Die „Ortschaft“ liegt auf eine Höhe von ca. 3380 m und völlig vom dichten Wald umgeben bzw. dem davor fließenden Simbuwa Khola. Kurz nachdem wir Anda Phedi rechts liegen gelassen haben, beginnt es gegen ca. 15:00 Uhr wieder ein bisschen zu tröpfeln. Der sanfte Regen wird uns die nächsten 1,5 Stunden begleiten. Den ganzen Nachmittag gehen wir am Simbuwa Khola entlang, einem weiteren Fluss, der das Schmelzwasser der höher gelegenen Gletscher talwärts abfließen lässt. Entsprechend reißend ist der Fluss. Gegen 17:15 Uhr erreichen wir schließlich Tortong auf einer Höhe von knapp 3000 m. Im Wald beginnt es inzwischen langsam dunkel zu werden. Wobei die Dämmerung hier aufgrund der Äquatornähe nur sehr kurz ist im Verhältnis zu Deutschland. Das Terrain war heute wie gemacht für unsere Träger, es ging praktisch immer bergab. Solche Strecken pflegen sie fast im Laufschritt zu nehmen. So haben sie nur 2 Stunden gebraucht, wofür wir 3,5 Stunden benötigt haben. Heute war dann auch der letzte Tag, an dem zumindest einige unserer Träger noch mit festen Schuhen unterwegs waren, ab morgen werden sie wieder in „Plastik-Latschen“ gehen.

Erstaunlich ist, was auf dieser Höhe bereits alles wächst. So finden sich in unserem Abendessen Tomaten, Kürbisse und anderes Gemüse wieder, das direkt hinterm Haus angebaut wird. Soweit möglich versucht unsere Küche lokal verfügbare frische Früchte zu kaufen, was natürlich nicht ganz uneigennützig ist, denn was hier schon wächst, braucht nicht mehr transportiert zu werden. Was natürlich auch noch den Nebeneffekt hat, dass die örtlichen Familien sich ein paar zusätzliche Rupien verdienen können.

Nach dem ich mich vor einigen Tagen schon mal mit der älteren Geschichte beschäftigt hatte, möchte ich heute die neuere noch etwas beleuchten. Beginnen möchte ich da im Jahre 1960, in dem König Mahendra Bir Bikram Shah Dev zwar gezwungen wurde, die ersten freien Parlamentswahlen abzuhalten, aber bereits zwei Jahre später den gewählten Premierminister wieder absetzte. Das Parlament wurde auch in den Folgejahren gewählt, wobei aber etwa ein Viertel der Abgeordneten direkt durch den König bestimmt worden sind. Letztlich bestimmte aber der König durch sein Vetorecht die gesamte Politik. Politische Parteien waren verboten, und lediglich auf lokaler Ebene konnten Bürgermeister gewählt werden, und es gab in einem gewissen Rahmen eine Selbstverwaltung. Dieses System wurde als Panchayat-System bezeichnet. Die Entwicklung Nepals fiel gegenüber der übrigen Welt immer weiter zurück, man war auf Entwicklungshilfe insbesondere aus China und Indien, als die beiden großen auch im Inland dominierenden Nachbarn, angewiesen. Im Jahre 1979 kam es auf Druck von großen Demonstrationen zu einer Abstimmung über das Panchayat-System, das aber mit einer Mehrheit von 55 % bestätigt wurde. Erst 1990 wurde Nepal wieder zu einem Mehrparteiensystem, was insbesondere durch eine durch Indien unterstützten Demokratiebewegung zustande kam. Im Folgejahr gab es wieder freie Wahlen. In sehr kurzer Zeit hatte die neue politische Führung aber den Kredit bei der Bevölkerung verspielt, da sie als noch korrupter als die alte Regierung galt.

1996 begannen dann Maoisten mit ihrem bewaffneten Unabhängigkeitskampf. In dessen Folge sie immer größere Gebiete insbesondere im Westen des Landes unter ihre Kontrolle bringen konnten. Ihr Kampf richtete sich gegen die Monarchie und gegen das Kastensystem. Im Jahre 2001 schließlich kam nahezu die gesamte Königsfamilie bei einem Massaker innerhalb des Palastes ums Leben. Als Drahtzieher vermutet man bis heute den Sohn, Kronprinz Dipendra Bir Bikram Shah Dev, hinter der Tat, der sich aber drei Tage nach dem Massaker selbst umbrachte, nachdem er zwischenzeitlich zum neuen König ernannt worden war. So wurde Gyanendra Bir Bikram Shah Dev neuer König, der Bruder des ermordeten Birendras. In den Folgejahren herrschte erbitterter Bürgerkrieg im Land, unter dem auch der Tourismus litt. Dadurch fiel insbesondere in den Jahren 2002-2004 eine wesentliche Einnahmequelle des Landes weg. In dieser Zeit gab es auch so Stilblüten wie die Erpressung von Schutzgeld von den Touristen, welches dann gegen eine Quittung bezahlt worden ist. Wer eine solche Quittung vorweisen konnte, wurde dann von dieser Bürgerkriegspartei nicht weiter behelligt. Touristen wurden auch während des gesamten Bürgerkriegs nicht direkt in die Kämpfe verwickelt. Im Jahre 2002 war es auch als Premierminister Shaer Bahadur Deuba das Parlament auflöste, wurde aber seinerseits vom König abgesetzt, was aber eigentlich verfassungswidrig war. So lag auch aufgrund von Notstandsgesetzen die gesamte Macht wieder beim König. Im Jahre 2003 wurde zwischen dem Staat und den Maoisten ein Waffenstillstand vereinbart, da beide Seiten erkannten, dass sie nicht gewinnen könnten, gleichzeitig das Land aber schwer unter dem Bürgerkrieg litt. Noch im selben Jahr ging dieser Waffenstillstand wieder in die Brüche. Der König beauftragte daraufhin fünf Parteien damit, eine neue Regierung zu bilden. Das misslang aufgrund der Rivalität zwischen den Parteien. So beauftragte der König schließlich Shaer Bahadur Deuba im Jahre 2004 wieder mit der Regierungsbildung. Bereits im Februar 2005 setzte er diese aber wieder ab, und sich als Alleinherrscher ein. Nach anhaltendem Druck aus dem Ausland, und auch Großdemonstrationen mit über 200.000 Menschen in Kathmandu – trotz Ausgangssperre, setzte der König im April 2006 schließlich Girijä Prasad Koirala als neuen Ministerpräsidenten ein, gleichzeitig wurde das alte aufgelöste Parlament wieder einberufen. In der Folge beschnitt der neue Ministerpräsident massiv die Rechte des Königs, strich das Royal aus allen öffentlichen Bezeichnungen, und auch auf den Geldscheinen wurde das Konterfei des Königs durch eine Blume ersetzt. Gleichzeitig verhandelte er mit den vorhandenen politischen Parteien inklusive dem Maoisten, die in der Vereinigten Kommunistischen Partei organisiert waren, über ein Friedensabkommen und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Im Januar 2007 schließlich zogen kommunistische Abgeordnete in das Parlament ein. Die Monarchie wurde abgeschafft, der Grundbesitz des Königs verstaatlicht und sowohl ein neues Staatswappen als auch eine neue Nationalhymne eingeführt. Am 10. April 2008 wurde die verfassungsgebende Versammlung gewählt. Sie fungierte gleichzeitig als Parlament. Die neuen Abgeordneten leisteten ihren Eid in mehr als 40 Sprachen, ein Tribut an den Vielvölkerstaat. Ein weiteres Novum in der Welt dürfte wohl sein, dass einige Abgeordnete weder lesen noch schreiben konnten. Am 29. Mai 2008 war es schließlich soweit, die Monarchie wurde abgeschafft und die demokratische Bundesrepublik Nepal ausgerufen. Die Regierungsbildung war und ist bis heute sehr schwierig. So wird im Jahre 2012 bereits der vierte Ministerpräsident vereidigt, und das bei einer zwischenzeitlichen siebenmonatigen Vakanz. Bis heute sollten ihm noch zwei weitere Folgen. Mit dazu gehört auch, dass im Jahre 2013 Neuwahlen stattfanden, auch wenn sie statt im April erst im November durchgeführt worden sind. Bis heute konnte noch keine endgültige Verfassung verabschiedet werden. Die Parteien sind schlicht untereinander zu zerstritten, dazu kommt das Kastensystem, in dem die etwa 30 % die der obersten Kaste, den Brahmanen, angehören, die übrigen nicht als gleichwertig anerkennen. Dazu die Vielzahl an Völkern und Stämmen, die natürlich auch alle berücksichtigt werden wollen. Aufgrund dieser Konstellation ist bis heute die Politik sehr kurzfristig ausgerichtet. Dadurch kommt das Land nicht so voran, wie es eigentlich nötig wäre. Dann ist die Korruption ein sehr großes Problem im Lande, und auch die Einflussnahme durch China und insbesondere Indien ist für Nepal selbst nicht immer gerade hilfreich. Nicht zuletzt deshalb ist das Vertrauen der Nepalesen in ihre Politiker nicht besonders ausgeprägt. Und auch der Schutz von Minderheiten, obwohl in der Übergangsverfassung garantiert, sind noch dunkle Flecken im Land. So werden etwa bis heute Schwule und Transvestiten von der Polizei verfolgt. Frauen werden benachteiligt. Ebenso werden etwa 15-20.000 Mädchen pro Jahr als Sexsklaven meist nach Indien verkauft.