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20. Reisetag          Paratunka – 29.08.2018

Nachdem es gestern schon früh raus ging, geht es heute schon wieder sehr früh los. Frühstück um 5:00 Uhr, und Abfahrt soll dann gegen 6:30 Uhr sein. Es muss also wieder gepackt werden, und alles inklusive der Küchenausrüstung ein letztes Mal in den Kamaz verladen werden. Alle sind gut vorbereitet, nur noch die restlichen über Nacht getrockneten Sachen und den Schlafsack ins Gepäck. Auch Svetlana, die uns auf dieser Reise bestens versorgt hat, hat offensichtlich gestern schon vorgearbeitet, und so sind auch die Küchenutensilien schon nahezu komplett verpackt. Entsprechend geht es sogar überpünktlich los. Wir fahren in Richtung Elizovo, von wo aus wir heute einen Hubschrauberflug ins Tal der Geysire machen wollen. Wir kommen gut durch den Verkehr, und sind so schon ein bisschen zu früh da. Aber es ist immer besser zu früh zu sein, als zu spät. Auch wenn ich ziemlich müde bin, da ich gestern lange nicht wirklich einschlafen konnte.

Kurz nach zehn starten wir mit dem Helikopter zu dem rund einstündigen Flug ins Tal der Geysire. Das Tal hat übrigens im Jahre 2007 zuletzt sein Aussehen radikal geändert. Im Januar des Jahres gab es einen größeren Erdrutsch, der den Abfluss des darin verlaufenen Wasserlaufs zuschüttete. Durch das aufgestaute Wasser wurden alle Geysire und heißen Quellen überflutet. Erst im August desselben Jahres wurde ein neuer Abfluss von der Armee und zahlreichen Freiwilligen geschaffen. Überhaupt wurden die Geysire von der heutigen Welt erst im Jahre 1941 durch die russische Wissenschaftlerin Tatjana Ustinova entdeckt. Auf Ihren Wunsch hin wurde ihre Urne später auch hier bestattet. Man nimmt an, dass die hier früher lebenden Völker aber durchaus von der Existenz wussten, aber aus Ehrfurcht vor der Natur den weißen Eindringlingen nichts von deren Existenz berichteten. Anders übrigens als von der nur 14 km entfernten Uzon Caldera. Kurz nach der Landung mit dem Helikopter beginnt auch schon unsere Führung durch einen Teil des Tals der Geysire. Zuerst geht es zum Bol’Shoy, der in schöner Regelmäßigkeit von einer knappen Stunde ausbricht. Was er auch heute „brav“ tut. Er kann dabei eine Höhe von bis zu 10 m erreichen, bleibt heute aber deutlich darunter. Seine Ausbrüche dauern in der Regel 4-6 Minuten. Neben dem Bol’Shoy gibt es noch einige weitere, die aber entweder sehr viel kleiner sind, oder aber nur selten ausbrechen. Der größte hier vorkommende Geysir bringt es auf bis zu 160 l in der Sekunde. Der Velikon schießt aber nicht senkrecht, sondern nach dem Erdbeben nahezu waagerecht aus der Erde, tut dieses aber auch nur 3-4 mal pro Jahr. Vielleicht an dieser Stelle noch ein paar Sätze zum Funktionsprinzip eines Geysirs. Es braucht Wasser, das von oben durch verschiedene Risse oder Gänge in das Gestein eindringen kann. Dort trifft das kalte Wasser dann auf heißes Magma und wird stark erhitzt. Dann ist dort ein Gang an die Erdoberfläche nötig, der beim Aufstieg eine Verengung aufweist. Dadurch kann das kochend heiße Wasser nicht einfach nach oben herausgedrückt werden. Der Druck im unteren Bereich steigt dann so lange an, bis er ausreicht größere Menge siedend heißen Wassers durch die Engstelle an der Erdoberfläche zu pressen, der Ausbruch des Geysirs. Da es durch tektonische Verschiebungen, oder auch Erdbeben immer wieder vorkommt, dass diese Gänge entweder weiter geöffnet oder aber auch mal verschlossen werden, verändert sich das Bild und oder auch die Existenz der Geysire fortlaufend. Die Geysire gehören zu den sieben Wundern Russlands, ein stolzes Land wie Russland muss natürlich auch einen „Gegenveranstaltung“ zu den sieben Weltwundern bieten, von denen ja nicht nur sieben Antike Weltwunder gibt, sondern auch sieben „Neue Weltwunder“, deren Wahl wiederum nicht völlig unumstritten ist und etwa keine offizielle Anerkennung der UNESCO hat. Aber das führt an dieser Stelle ohnehin in die falsche Richtung.

Auf unserer Führung geht es über Holzstege, die nicht verlassen werden dürfen, weiter an einen Südosthang mit zahlreichen kleinen Geysiren und auch Öffnungen, durch die permanent etwas schwefelhaltigen Wasserdampf austritt bis zu einigen Schlammtöpfen, die scheinbar vor sich hin „köcheln“. Es gibt aber zum Beispiel auch eine etwa 4 m tiefe Wasserstelle mit ca. 85° heißem fast türkis leuchtendem Wasser, oder auch überhaupt verschiedene Farben bei verschiedenen Wasserstellen, die in unmittelbarer Nähe zueinander liegen, genauso wie auch die Schlammtöpfe deutliche farbliche Unterschiede aufweisen. Die Wassertemperatur ist auch noch ein an einer anderen Stelle hochinteressant. Das an den Geysiren austretende Wasser läuft nahezu unmittelbar in einen Wasserlauf, und vermengt sich dort mit dessen kalten Wasser. Das Wasser des Baches wird dabei im Winter bis auf ca. 20° erwärmt. Aufgrund der Schneeschmelze, und des deshalb ansteigenden Anteils an kaltem Wasser im Frühling, fällt die Temperatur zu der Zeit auf ca. 15 °C. Aber auch das ist noch ein lohnendes Ziel für Bären, die aus dem Winterschlaf erwachen und hier schon Nahrung aber auch Wärme finden. So sind hier zum Ende des Winters hin oftmals viele Bären unterwegs.

Unser nächstes Ziel ist die nahe gelegene Uzon Caldera. Ursprünglich gab es hier einen nahezu die gesamte Caldera bedeckenden See, heute bedeckt er nur noch einen relativ kleinen Teil. Der Rest ist inzwischen mehr oder weniger trocken, oder aber von einem neu entstehenden Bereich mit zahlreichen Schlammtöpfen bedeckt. Die Schlammtöpfe weisen wegen der Zink- und Aluminiumanteile meist eine graue Farbe auf. Es gibt aber auch mehrere neue Wasserflächen, die stark mit unterschiedlichen Sulfat-Gemischen durchsetzt sind. Wissenschaftler haben dort einige Besonderheiten entdeckt, so hat einer der Seen im Prinzip zwei Bodenschichten, die sich sowohl in der Zusammensetzung als auch in der Temperatur erheblich unterscheiden. Aber auch die Wassertemperaturen der verschiedenen neu entstandenen Seen reichen in einer Bandbreite von 18°C bis hin zu 40 °C. Selbst der noch erhaltene Teil des alten Sees bringt es noch auf eine Temperatur von um die 20 °C, was wiederum für einige Fischarten ideale Bedingungen sind. Diese stehen dann wieder auf dem Speiseplan der Bären, die auch hier insbesondere im Frühjahr und Herbst meist in großer Zahl in der Caldera unterwegs sind. So begleitet uns auch auf unserem Rundgang in der Caldera, wie auch bei den Geysiren, ein bewaffneter Ranger, bzw. hier in unserem Fall eine noch ziemlich junge bewaffnete Rangerin. Vielleicht auch noch ein paar Hintergründe zu der Caldera selbst. Ursprünglich war hier ein ca. 3000 m hoher Vulkan, der aber vor etwa 40.000 Jahren infolge von zahlreichen großen Eruptionen in sich zusammenfiel, und die heutige Caldera mit einer Fläche von ca. 9 × 12 km zurückließ. Nach russischer Definition ist der Vulkan entsprechend als inzwischen inaktiv einzustufen. Neben den Seen finden sich auch zahlreiche Fumarolen, die gemeinsam mit den Seen eine Thermalwärme von ca. 290 MW abgeben. Dazu das große Farbspiel, dass durch die Vielzahl von sich abgelagerten Mineralien insbesondere im Uferbereich ergibt. Außerdem kommen hier einige Spezialisten unter den Pflanzen vor, die es so im gesamten Riesenreich Russland, immerhin das größte Land der Erde, nur hier so gibt. Dazu sind viele Mikroorganismen und auch Algen bei der Arbeit, die die Grundlagen für höhere Pflanzen schaffen. Außerdem gibt es hier ein Phänomen, was sich die Wissenschaft bis heute nicht so recht erklären kann. Hier wurden Spuren von Erdöl gefunden, das lediglich ein Alter von ca. 15 Jahren aufweist, dabei riecht es ein bisschen nach Kerosin, was wiederum die Bären besonders anzulocken scheint. Normalerweise entsteht Öl durch die Zersetzung von organischem Material, die meisten heute bekannten Ölvorkommen sind durch winzige Meeresbewohner wie Algen und Plankton entstanden, die abgestorben auf den Meeresgrund abgesunken sind, und durch sich darauf ablagernden weiteren Sedimenten luftdicht abgeschlossen wurden. Der dabei entstehende Faulschlamm wird über Jahrmillionen dann schließlich unter Druck und bei Temperaturen von ca. 60 °C zu Erdöl. Und hier geschah dieser Vorgang innerhalb von gerade eineinhalb Jahrzehnten, also erdgeschichtlich in kaum einem Wimpernschlag.

Nach etwa 1 Stunde Aufenthalt fliegen wir weiter mit dem Hubschrauber, es geht ein Stück zurück in Richtung Elizovo, machen aber noch Station an heißen Quellen, bei denen noch mal Gelegenheit besteht, ein warmes Thermalbad zu nehmen. Auch wenn es deutlich tiefer ist, als das in der Nähe von Paratunka vor ein paar Tagen, verkneife ich mir das. Inklusive umziehen und wieder abtrocknen ist dafür ein Zeitfenster von ca. 20 Minuten vorgesehen. Entspannung sieht anders aus. Stattdessen nehme ich schon mal das Mittagessen ein, dass wir in der Maschine essen, da es ein bisschen zu tröpfeln begonnen hat. Bisher hingen die Wolken nur meist tief, was die Sicht nicht unbedingt verbessert hat. Dafür war das letzte Fenster im Hubschrauber zu öffnen, etwas was ich bisher noch nie gesehen habe. Auch sonst nimmt man es mit den Sicherheitsbelehrung nicht übergenau. Es gab einen nicht sonderlich effektiven Gehörschutz und ein Bonbon, aber ansonsten lagen die Anstaltsgurte nur einfach dar. Beim Öffnen des Fensters war mir ein Russe behilflich, der mich durch die Scheibe fotografieren sah. Auch der Guide, der uns auf den Flügen begleitete, war ganz offensichtlich in keiner Weise irgendwie beunruhigt, ob unseres Treibens. Es gibt übrigens nur noch ein Unternehmen, dass die Hubschrauberflüge zu den Geysiren veranstaltet / veranstalten darf. In früheren Jahren gab es dabei ein paar Unfälle. Der heutige Lizenzinhaber konnte die zuständigen Behörden davon überzeugen, dass auch mangelnde Wartung am alten Fluggerät zu den Unfällen beitrug. Bis dahin gab es zahlreiche kleine Unternehmen, die Flüge anboten, und dabei untereinander im Wettbewerb standen. Und Wartung kostet eben, bringt aber direkt nichts ein. Heute wird diese Tour entsprechend nur noch von einem Unternehmer angeboten, der dafür auch schon sportliche Preise aufruft. Und auch bis heute sind zahlreiche der ursprünglichen Maschinen weiterhin als Subunternehmer im Einsatz. Immerhin gab es seitdem keine Unfälle mehr. Geflogen wird mit Hubschraubern des Typs MI-8, bzw. darauf aufbauenden Konstruktionen. Der MI-8 geht auf eine Konstruktion aus dem Jahre 1963 zurück. Er wird in über 80 Ländern der Erde vor allem als Transporthubschrauber aber auch in modifizierten Versionen als Kampfhubschrauber eingesetzt. Die Maschine gilt als ziemlich robust und sehr zuverlässig. Als Transportversion trägt sie je nach Version Lasten von bis zu 3 Tonnen, in ihrem Rumpf lässt sich auch beispielweise ein PKW transportieren. Insgesamt gibt es ca. 120 verschiedene Varianten vom MI-8, die bis heute über 12000 Mal von der russischen Firma MIL produziert worden sind, und auch heute noch produziert wird.

Wir erreichen nach ca. 6 Stunden gegen 16 Uhr wieder den Flughafen von Elizovo, wo uns bereits ein Kleintransporter erwartet. Dieser bringt uns zu unserer neuen Herberge in den Außenbezirken von Paratunka. Unser Gepäck ist bereits da und liegt auf den Zimmern, so das noch ein bisschen Zeit bis zum Abendessen bleibt.