16. Reisetag Casa Alfredo – 16.02.2020
Wir wollen heute gegen 6:00 Uhr frühstücken, da dann vermutlich die meisten anderen Gäste im etwas unruhigen Camp Paradiso zur Ciudad Perdida aufgebrochen sein werden. Aber ab etwa 5:00 Uhr ist ohnehin nicht mehr an Schlaf zu denken. Zu dem Zeitpunkt scheint schon das ganze Camp mit vollaufgedrehten Stirnlampen ein bisschen aufgeregt umher zu laufen. Und wie es meistens so ist, sind die Lampen natürlich nicht auf die eigenen Füße gerichtet, sondern eher als „Fernlicht“ eingestellt. Bis wir dann schließlich zum Frühstück gehen, liegt das Camp wieder ruhig da. Anschließend gehen wir in die entgegengesetzte Richtung der Massen, und machen uns auf den Rückweg. Unser erstes Zwischenziel ist dann wieder das Wiwa Camp, in dem wir auch unsere zweite Nacht auf dem Weg durch den Regenwald verbracht hatten. Da wir dort bereits gegen 11:00 Uhr eintreffen, machen sich noch ein paar aus unserer Gruppe auf den Weg zu dem kleinen Wasserfall, an dem wir auch schon vor zwei Tagen waren. Wie man sich denken kann, lasse ich das heute aus, zumal wir auch heute Nachmittag noch ein bisschen Weg vor uns haben, und die Erfrischung ohnehin gefühlt schnell wieder verpuffen würde. Nach dem Mittagessen legen wir noch eine Siesta ein, um der Mittagshitze zu entgehen. Gegen 14 Uhr nehmen wir dann die letzte Etappe des Tages in Angriff. Da wir aus der anderen Richtung kommen, geht es heute in der ersten Stunde relativ straff bergauf. Immerhin sind gut 300 Höhenmeter zu überwinden. In der zweiten Stunde geht es etwa ebenso viele Höhenmeter wieder hinunter, und dazu noch ein bisschen mehr oder weniger gemäßigt rauf und runter. So erreichen wir schließlich gegen 16:00 Uhr das Casa Alfredo.
Heute ist deutlich mehr los, und das Camp scheint relativ voll zu sein. So bildet sich auch schon eine Schlange vor den Duschen, als wir eintreffen. Ich beziehe noch schnell das Bett mit dem vom Veranstalter gestellten Bettlaken und Kopfkissenbezug, und reihe mich dann in die Schlange der Wartenden ein. Vom Reiseveranstalter kam im Vorfeld übrigens auch die Empfehlung einen Schlafsack bzw. mindestens ein Inlett mit auf diese Wanderung zu nehmen, was auch auf jeden Fall seine Berechtigung hat. Es ist weniger eine Frage der Temperatur, sondern vielmehr der Hygiene. Das bereits vom Camp aufgezogene Bettzeug hat einen gewissen „used Look“. Oben im Camp Paradiso hat man zwar bereits morgens um 6:00 Uhr damit begonnen die Wolldecken einzusammeln und in die beiden übrigens unter freiem Himmel stehenden Waschmaschinen zu stecken, aber bei zwei Maschinen und gefühlt rund 150 Betten und Hängematten, braucht es ein bisschen, bis man rum ist und die Decken auch noch wieder trocken werden sollen. Dort verlassen spätestens gegen Mittag die Besucher das Camp, und im Laufe des Nachmittags kommen ebenso viele neue Gäste, so dass sich das Camp faktisch jeden Tag komplett dreht. In den anderen Camps ist es im Prinzip genauso, aber dort sind immerhin weniger Leute untergebracht. Ich habe übrigens einen Schlafsack dabei, der alleine in den Bergen bei der Cabana El Pulpito zu kalt gewesen wäre, dafür ist er hier zu warm. So muss ich auch nachts hier im Regenwald auch nicht unbedingt frieren.
Nach der Dusche ist noch ein bisschen Zeit sich in und um das Camp herum umzusehen. Wobei ich im Vorfeld eigentlich erwartet hatte, dass wir im Regenwald deutlich mehr Tiere sehen würden. Was aber abgesehen von ein paar Insekten und Spinnen praktisch nicht der Fall war. Aber es ist natürlich zu berücksichtigen, dass der Weg zur Ciudad Perdida nahezu den ganzen Tag begangen werden. So verschwinden natürlich alle Tiere im schier undurchdringlichen Dickicht. Und selbst wenn sie nur wenige Meter neben dem Weg sein sollten, wird man sie an vielen Stellen nicht einmal sehen. Während am Tage auch nur einige Vögel zu hören sind, erwacht der Regenwald bei Einbruch der Dämmerung zum Leben. Es bildet sich ein lebhafter Klangteppich mit unzähligen unterschiedlichen Lauten. Kolumbien gehört zu den artenreichsten Ländern der Erde. Das Land deckt nur etwa 0,7 % des Festlandes auf unserem Planeten ab, beheimatet aber gut 10 % aller Arten aus Flora und Fauna. Dabei spielt natürlich auch die Vielfalt der Landschaften eine große Rolle. So gibt es neben dem Regenwald, in dem wir uns hier gerade befinden, auch Savannen und Wüstengebiete. Aber natürlich auch die schneebedeckten Berge der Anden und Tausende Kilometer Küste an Pazifik und in der Karibik. Daraus ergeben sich natürlich viele verschiedene Vegetationszonen und auch große topografische Unterschiede. Es werden heute zwar etwa 38,4 Millionen ha der Fläche landwirtschaftliche genutzt, gleichzeitig sind aber auch über 53 Millionen ha mit natürlichem Wald bedeckt, weitere 21,6 Million ha sind Savannen, Trocken- oder Feuchtgebiete, und 1,1 Millionen ha sind mit Gewässern oder Schnee bedeckt. So summieren sich die jährlichen Wasserressourcen auf über 2 Milliarden m³, die aus Flüssen, Lagunen, Feuchtgebieten bzw. Sümpfen stammen. Insgesamt finden über 50.000 verschiedene Pflanzenarten in Kolumbien ihr Auskommen, darunter sind zum Beispiel allein 3500 verschiedene Orchideenarten, was etwa 15% der weltweit vorkommenden Arten sind. Genauso gibt es über 1700 verschiedene Vogelarten, rund 20 % aller auf der Erde vorkommenden Arten, oder auch knapp 2900 Landwirbeltiere. Diese Aufzählung ließe sich durchaus noch ein bisschen fortführen. So gibt es auch sehr viele endemische Vegetationsform im Land. Selbst in der Verfassung von 1991 beschäftigen sich 60 Artikel direkt mit Fragen der Ökologie. Auf der anderen Seite gibt es auch große Problemfelder im Umweltschutz. Insbesondere der Abbau von Rohstoffen wie Gold und Kupfer geht mit großen Umweltverschmutzungen einher. Ebenso wird die Öl-Exploration aktuell deutlich ausgebaut, seit 2019 ist auch das Fracking legalisiert worden. Und auch die Klimaerwärmung schlägt sich in Kolumbien bereits seit Jahrzehnten unter anderem deutlich sichtbar im Abschmelzen der Gletscher wieder. Wie bereist vor einigen Tagen berichtet, sind die Gletscher in der Sierra Nevada del Cocuy in den letzten gut 150 Jahren um 90% geschrumpft, und das Abschmelzen verläuft immer schneller, so ist bereits abzusehen, wann sie verschwunden sein werden. Und auch der Mamo Romaldo sprach gestern bei unserem Besuch bei ihm davon, dass die Flüsse heute sehr viel weniger Wasser führen als früher. Auch das sicherlich ein Resultat des abnehmenden Schmelzwassers von den Gletschern der Andengipfel. Auch haben die Wetterschwankungen mit langen Trockenperioden und dann wieder sinnflutartigen Regenfällen in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Auch gab es durch die Kämpfe der Regierung gegen die verschiedenen Guerilla Gruppen auch große Schäden an der Umwelt, wobei auch die Vernichtung von Koka-Plantagen mit Pflanzenschutzmittel aus Flugzeugen große Kollateralschäden verursachte.