10. Tag 20.10.2014 - Ghunsa (3415m)
Heute ist ein Akklimatisationstag auf dem Programm. Unsere Träger haben frei, ich vermute mal, sie werden entsprechend auch nicht bezahlt, müssen ihre Unterkunft aber noch selbst zahlen. Aber ein Tag Pause von der Plackerei wird ihnen wahrscheinlich gut tun. Als ich um 6:30 Uhr aus dem Zelt gekrabbelt komme, ist dieses komplett verreist, gleiches gilt natürlich auch für den Boden drum herum. Eine große Schüssel mit Wasser, die hier noch an der Waschstelle stand, ist komplett durchgefroren - es waren immerhin rund 10 cm Wasser in der Alu Schüssel.
Wie gehen heute auf einen kleinen Gipfel bzw. eine Anhöhe in der Nähe um uns an die Höhe zu gewöhnen. Das bedeutet mindestens bis zu den Gebetsfahnen, die sich oberhalb von Ghunsa auf ca. 3850 m befinden. Wie auch sonst dauert es morgens eine Zeit bis die Sonne uns im Tal erreicht. So ist es anfangs relativ kühl, wird aber schnell sehr viel angenehmer, sobald wir aus dem Schatten heraus sind. Da es anfangs recht steil bergauf geht, wird einem aber auch so warm. Meine leichten Kopfschmerzen von gestern sind verflogen, und so bin ich trotz der Anstrengungen recht zufrieden mit meinem gesundheitlichen Zustand. Oben an den Gebetsfahnen angekommen machen wir erst einmal eine längere Pause und genießen einfach nur den Sonnenschein. Von hier hat man einen schönen Blick auf Ghunsa und auch unsere Zelte hinunter. Natürlich schaut man aber auch noch weiter nach oben, schließlich ist unser „Hügel“ an dessen Seite wir hochgekommen sind einer der Kleinen hier. Und wir sind noch nicht mal bis nach oben gestiegen, auch wenn wir nach der Pause noch etwa 200 Höhenmeter machen. Beim Blick zurück sieht man die Alm von Phale, wo wir noch gestern unsere Mittagspause gemacht haben. Und man überlegt schon mal, wo es wohl lang gehen könnte, wenn wir von der Nordseite des Kangchendzönga zurückkommen, um über die Pässe in Richtung der Südseite unterwegs sein werden. Und dann ist da natürlich auch noch der Blick nach vorne, man verfolgt schon mal den Verlauf des Tals, dem wir morgen wieder folgen werden. Es gibt hier oben weißen und auch blauen Enzian, noch mal zur Erinnerung, wir sind auf etwa 4000 m. Ansonsten wird das Buschwerk langsam kleiner, ist aber immer noch Buschwerk nicht zuletzt mit den vielen Rhododendren. Anschließend geht es den gleichen Weg auf dem wir hochgekommen sind auch wieder hinunter in Richtung Ghunsa. Der Ort selbst liegt in einem relativ engen Tal mit recht steil aufsteigenden Felsen an den Seiten. Von oben war auch zu sehen, dass erst nach 10:00 Uhr überhaupt die Sonne hoch genug steht, um die Ortschaft und insbesondere unseren Zeltplatz überhaupt zu erwärmen. Während wir absteigen landet ein Hubschrauber zweimal in Ghunsa, was eigentlich ein schlechtes Zeichen ist. Denn meist wird der nur im Notfall für den Rücktransport von Touristen gerufen. Wobei schon im Vorfeld geklärt wird, wer den Flug bezahlt, keine Deckung -> kein Flug. Da die normalen Nepalesen sich das niemals leisten könnten, müssten sie ihre Kranken zu Fuß in einem Korb bis nach Taplejung transportieren. Auf einer Trage ist das bei den Wegeverhältnissen an vielen Stellen kaum möglich. Sicherlich sind wir viel langsamer als sie, aber wir sind schon tagelang zu Fuß unterwegs um überhaupt bis nach Ghunsa zu kommen. Eine Straße gibt es nicht, die einzige Verbindung ist der „Trampelpfad“, den auch wir benutzen.
Bevor wir wieder über die Brücke über den Ghunsa Khola zurück zu unseren Zelten gehen, schauen wir noch bei einem örtlichen buddhistischen Kloster vorbei. Leider ist im Moment keiner der Mönche vor Ort um uns hereinzulassen. So bleibt nur der Blick auf die typischen bunten tibetischen Gebetsfahnen und durch einen kleinen Spalt ins Innere des Klosters.
So ist hier auch ein guter Platz, um ein bisschen über die Religionen in Nepal zu berichten. Die Hauptrichtungen sind Hinduismus und Buddhismus, es gibt aber auch ein paar Muslime und Christen im Lande. Von der Verteilung her sind etwa 80 % der Menschen Hindus, knapp 10 % Buddhisten, Muslime haben einen Anteil von etwa 4 %, während die Christen auf knapp 1,5 % kommen. Von jeher leben die Religionen in Nepal friedlich nebeneinander. Ja der Buddhismus ist sogar aus dem Hinduismus hervorgegangen. Im Hinduismus gibt es keinen klaren Gründer der Religion, was sie von allen anderen großen Weltreligionen unterscheidet. Dafür gibt es dort eine Vielzahl von Gottheiten, manche Zahlen gehen in die Millionen, was aber zusätzlich verwirrend durch die Reinkarnation wird. So glaubt man im Hinduismus an den ewigen Kreislauf von Leben und Tod. Im Hinduismus, der auch im 20. Jahrhundert Staatsreligion und Teil der Gesetze in Nepal war, gibt es ein strenges Kastensystem. Insbesondere in Indien wird es auch bis heute so gelebt. In Nepal ist dieses etwas aufgeweicht. Man kennt vier Hauptkasten. In der höchsten Klasse sind vor allem Gelehrte und Priester, man nennt sie auch die Brahmanen. Darauf folgt die Kishutria, zu ihr gehören Könige und Krieger und auch andere sehr wohlhabende. In der folgenden Vaishya sind Kaufleute und Bauern. Die Shudra als unterste Kaste beinhaltet Knechte, Handwerker und Arbeiter. Durch das Zusammenwachsen der verschiedenen Völker und Stämme sind diese vier Hauptkasten noch weiter in enorm viele Unterkasten aufgeteilt worden. Unter den Kasten gibt es dann noch die unberührbaren zu denen eigentlich auch wir Ungläubigen, jedenfalls nach der hinduistischen Sichtweise, gehören. In Indien soll diese Sichtweise durchaus sehr verbreitet sein, in Nepal werden die Touristen häufig in die zweite Kaste einsortiert, da sie als sehr reich gelten. Woher genau das Kastensystem kommt, weiß man bis heute nicht. In Nepal ist das Kastensystem eigentlich offiziell abgeschafft worden, lebt im Alltagsgebrauch, wenn auch in abgeschwächter Form, aber bis heute. Insbesondere dieses Kastensystem war auch für Buddha, mit Geburtsnamen hieß es Siddaartha Gautama, eine der Punkte an denen der Anstoß nahm. Genau genommen geht es hier um den historischen Buddha, denn wörtlich übersetzt bedeutet das Wort so viel wie „Erwachter“, was eine Art Ehrentitel ist. Damit drückt man aus, dass es ihm gelungen ist, die große Einsicht über alles Leben und die Zusammenhänge zwischen allen Dingen erlangt zu haben. Neben ihm gibt es weitere Buddhas, die aber nicht historisch belegt werden können, sondern deren Existens eher auf mündlichen Überlieferungen beruht. Aus der Lehre des historischen Buddhas entstand der Buddhismus, in ihm gibt es keine klare Doktrin über richtig und falsch. Es geht dabei darum, dass jeder für sich einen „gesunden“ Mittelweg findet. Die Lehre beschreibt eher das Ziel durch Meditation zu einer Einheit von Geist und der Natur der Dinge zu kommen. Es geht auch darum ein ethisch reines Verhalten zu erreichen. Das Ziel ist Leid und Unvollkommenheit zu überwinden, und dadurch auch den Kreislauf der ewigen Widergeburt zu durchbrechen, um den sonst immer wehrenden Leidenszustand zu überwinden. Im ursprünglichen Buddhismus gibt es keine schriftlich fixierten Lehren. Es wird ein Weg aufgezeigt, mit dessen Hilfe man den Einklang mit sich und dem Umfeld erreichen kann. Da der Buddhismus keine irgendwann in der Vergangenheit fixierten Regeln befolgt, sondern sich im Prinzip ständig automatisch wandelt, ist er eine vielleicht immer junge Religion, wenn auch reich an Jahren, die genauso für die Tradition wie für die Moderne steht. Neben diesen beiden Hauptzweigen von praktizierter Religion in Nepal, gibt es auch noch Einflüsse von alten Naturreligionen, die teilweise sowohl in den Buddhismus als auch in den Hinduismus Eingang gefunden haben. So haben auch zahlreiche insbesondere hinduistische Heilige ihren Sitz in den Bergen. Das geht sogar so weit, dass manche Gipfel als eigenständige Gottheiten verehrt werden, oder auch Bedeutung im Buddhismus als besonders wichtige Plätze für den Weg zur Einheit mit sich selbst und der Natur / dem Umfeld darstellen. Manche Tempel werden sogar von Hindus und Buddhisten gleichermaßen für religiöse Zwecke genutzt. Von der Verteilung her sind die Buddhisten insbesondere im höheren Himalaya zu Hause, während die Hindus eher im bevölkerungsreichen Tiefland anzutreffen sind. Im täglichen Leben ist für uns praktisch nicht zu unterscheiden, wer zu welcher Glaubensgemeinschaft gehört. Was aber eigentlich ja ein sehr gute Nachricht ist, denn alle finden sich im täglichen Leben wieder. Denn radikale Ansichten gegenüber Andersgläubigen werden sicherlich niemals zu einem vernünftigen Miteinander führen. Unter diesem Gesichtspunkt liegt der Buddhismus vielleicht sogar sehr weit vorne, wenn er vielleicht auch eine der schwierigsten Religionen ist, eben weil es kein schwarz oder weiß gibt, und niemand genau vorgibt, was richtig und falsch ist. Es geht vielmehr darum es sich selbst zu erarbeitet.
Zurück zu unserem Tag, Mittag ist heute ungewöhnlich spät nach 12:00 Uhr, was aber wohl wir verschuldet haben, da wir vom ersten Rastplatz oben auf dem kleinen Berg noch ein bisschen weiter aufgestiegen sind, die ursprüngliche Planung unserer Guides sah wohl ein bisschen anders aus. Aber der Nachmittag ist eh frei, so bleibt genug Zeit noch ein bisschen die verschwitzte Wäsche durch zu spülen, oder auch für eine warme Dusche, wenn man denn will. Letzteres spare ich mir, denn jeden Tag diesen Luxus wäre wohl doch zu viel.