7. Reisetag Dizabine - 23.09.2023
Die letzte Nacht war ziemlich unruhig. Am Abend zerrte ein Sturm an meinem Zelt. Das eine Vorzelt hat sich aus seiner Verankerung gerissen, bzw. eines der Befestigungsbänder ist abgerissen. So schlug das noch lange gegen das Zelt. Aufstehen waren heute dann gegen 4:00 Uhr, nach einer „Katzenwäsche“ und Packen gibt es gegen 4:30 Uhr Frühstück. Der geplante Abmarsch um 5:00 Uhr verzögert sich dann aber doch noch um ein paar Minuten. Da es noch dunkel ist, ziehen wir als Karawanen mit Stirnlampen los. Noch bevor wir unsere erste Pause machen, huschen drei Speedwanderer an uns vorbei. Während wird dem Pfad mit seinen Kurven folgen, sprinten sie auf geradem Weg hinauf, und schon bald sind sie auch aus meinem Blickfeld verschwunden. Gegen 7:00 Uhr machen wir dann unsere erste Pause, inzwischen wird es langsam hell, sodass wir die Lampen ausschalten können. Bis hierher war der Anstieg relativ gemäßigt, und wir haben etwa 400 Höhenmeter geschafft. Zunächst geht es noch ein kurzes Stück relativ flach weiter, bis wir über einen relativ steilen meist über Geröll führenden Pfad die nächsten 400 Höhenmeter in Angriff nehmen. Bis etwa 9:00 Uhr ist auch dieser deutlich anstrengendere Anstieg geschafft, und Zeit für die nächste kleine Pause. Unser Ziel ist heute der Gipfel des MGoun mit seinen 4071m. Bis zum Gipfel fehlen damit noch etwa 250 Höhenmeter, wobei der Weg ab jetzt nur noch relativ sanft bergauf führt. Auf dem Weg zum Gipfel gibt es auch noch eine Passage, die an einem Grat entlangführt. Vom Gelände ist es nicht anspruchsvoll zu laufen, man merkt eben nur, dass wir innerhalb von gut 40 Stunden über 2000 Höhenmeter aufgestiegen sind. Dazu blässt ein ziemlicher frischer Wind hier oben. So ist es denn auch ziemlich frisch, bei der Höhe eigentlich nicht verwunderlich, aber gegenüber den beiden letzten Tagen tagsüber doch eine deutliche Veränderung. Heute früh beim Aufbruch waren wir gefühlt nicht weit vom Gefrierpunkt entfernt. So bin ich mit Mütze und dünnen Handschuhen gestartet, letztere habe ich bei der ersten Pause dann ausgezogen. Aber die Mütze ist schon nötig. Der Wind war es auch, auf den unser Bergführer am Vortag noch mal extra darauf hinwies, jetzt aber meinte er, der wäre heute sehr ruhig, er hätte schon ganz anderes hier erlebt. Gegen 10:30 Uhr erreichen wir schließlich den Gipfel. Die Aussicht ist großartig, zumal kein Wölkchen am Himmel zu sehen ist. Und weil der MGoun der dritthöchste Berg im Atlas Gebirge ist, höher sind nur der Jbel Toubkal (4167m) und der Jbel Ounoukrim mit seinem Gipfel Ras Timzguida (4089m). Die beiden liegen nur wenige Kilometer auseinander, aber auch etwa 100 km von MGount entfernt, auf dem wir heute stehen. So können wir von oben auf das Panorama blicken. Nach einer guten halben Stunde am Gipfel, sehen wir dann auch zu, wieder aus dem Wind zu kommen. Der Abstieg verläuft auf einem anderen Weg, der nicht weit unterhalb des Gipfels abzweigt. Kurz bevor wir dort hinunter gehen, kommen uns dort zwei andere Wanderer entgegen, die diesen ziemlich steilen Weg mit ihrem gesamten Gepäck genommen haben. Ich bin von deren Leistung ziemlich beeindruckt. Dagegen haben wir „Luxuswandern“ gebucht. Unser Hauptgepäck, Zelte und Verpflegung werden auf Maultieren zum nächsten Camp transportiert, wir haben nur das bisschen für den Tag dabei. Wobei ich sogar schon mein Regenzeugs ins Hauptgepäck umgeschichtet habe. Und trotzdem fand ich den Abschnitt nach der ersten Pause schon ein bisschen anstrengend, sicherlich gut für mich machbar, aber dieser Weg ist noch mal um einiges steiler, und wegen des Schotters, über den er führt, auch noch ziemlich mühsam. Dazu einige Kilo mehr Gepäck auf dem Rücken. Ich ziehe innerlich meinen Hut. Wegen des relativ steilen Gefälles rutschen wir eher ein bisschen auf dem Pfad runter, gefühlt hat man dabei Siebenmeilenstiefel an den Füßen. So steigen wir in der ersten Stunde über 600 Höhenmeter ab. Was mich noch mal an die beiden denken lässt, die hier hoch gestapft sind. Beim Abstieg wird es dann auch zunehmend wärmer. Dazu trägt bei, dass wir beim Abstieg nicht mehr im Wind laufen, und zusätzlich gewinnt die Sonne auch noch an Kraft. So beginne ich schon in der steilen Passage die ersten Kleidungsstücke auszuziehen. Gegen 12:30 machen wir unsere Mittagspause, und verzehren unser Lunchpaket. Ab hier wird das Gelände dann zunehmend flacher und auch angenehmer zu laufen. Auch wenn es nicht mehr so schnell voran und gleichzeitig abwärts geht. Am Ende zieht es sich dann sogar fast ein bisschen, weil es mehr oder weniger kaum noch abwärts geht, und wir gefühlt eher nur noch ein bisschen Strecke machen. Gegen 14 Uhr erreichen wir nach der Gipfelbesteigung unser heutiges Camp auf 2835m. Insgesamt waren wir rund 9 Stunden unterwegs, und sind wir rund 1200 auf- und etwa 1300 abgestiegen. Dabei haben wir eine Strecke von rund 18 Kilometer zurückgelegt.
Wir bewegen uns hier im Atlas Gebirge, das vom Atlantik quer durch Marokko über Algerien und mit letzten Ausläufern bis nach Tunesien reicht. Atlas ist in der griechischen Mythologie ein Titan, der den Himmel hochhielt. Zur Zeit der Antike war der Gebirgszug gleichzeitig auch das Ende der bekannten Welt und eine natürliche Barriere, die die Menschen daran hinderte, noch weiter vorwärts zu dringen. Noch heute ist das Atlas Gebirge eine bedeutende Wetterscheide. Nördlich des Gebirgszugs herrscht das relativ feuchte vom Atlantik und dem Mittelmehr geprägte Wetter vor, südlich davon dominiert die extreme Trockenheit der Sahara. Das bedeutet auch für das Atlas Gebirge selbst, dass es sehr unterschiedliche klimatische Bedingung aufweist. Im Norden gibt es hohe Niederschläge, mit denen in weiten Teilen Marokkos überhaupt Landwirtschaft möglich wird, und im Süden gibt es nahezu überhaupt keine Niederschläge. Zum Atlas Gebirge zählt man heute neben der eigentlichen Hauptline, die vom Atlantik beginnend in nordöstlicher Richtung ans Mittelmeer reicht, auch das Rif-Gebirge an der marokkanischen Mittelmeerküste. In Marokko geht das Atlas Gebirge unterhalb des Rif Gebirges in den Mittleren Atlas und dann in den Hohen Atlas über. Unterhalb davon liegt dann der Antiatlas. Der etwas merkwürdige Name rührt von der Entstehung her. Das Atlas Gebirge ist tatsächlich in zwei großen Schüben entstanden. Der Antiatlas entstand bereits vor etwa 300 Millionen Jahren, als damalige Landmassen miteinander kollidierten. Erst sehr viel später, nämlich vor etwa 65 Millionen Jahren, entstand dann das übrige Atlas Gebirge. Damals stieß die Europäische Kontinentalplatte unterhalb der iberischen Halbinsel mit der afrikanischen Kontinentalplatte zusammen, weshalb das Atlas Gebirge auch ein Faltengebirge ist, sich also beim Zusammenstoß aufgefaltet hat. Zu der Zeit entstanden z.B. auch die Alpen und die Pyrenäen, die heutige Straße von Gibraltar war zeitweise geschlossen und das heutige Mittelmehr quasi ein Binnenmeer, das sogar zeitweise ausgetrocknet war. Die Meerenge war übrigens bis in die Antike eine für Schiffe schwer zu passierende Passage, weil die Oberflächenströmung stark nach Osten trieb, und gleichzeitig meist starke Westwinde herrschten. In tieferen Schichten verlief die Strömung genau entgegengesetzt, und schafft einen Ausgleich zwischen dem sehr salzhaltigen Mittelmeer und dem Atlantik. Erst der Einsatz von sogenannten Treibankern half das Problem zu lösen. Die Straße von Gibraltar entstand übrigens vor etwa 5,3 Millionen Jahren, als durch ein leichtes Absinken des Gebietes wieder Wasser aus dem Atlantik in das zu dem Zeitpunkt ausgetrocknete Mittelmeer strömte. Dieser Strom verstärkte sich schnell. Man geht davon aus, dass zum Höhenpunkt etwa 100 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde !! aus dem Atlantik durch einen zu dem Zeitpunkt bereits etwa 11 Kilometer breiten Kanal ins Mittelmeer strömte, wobei dabei insgesamt etwa 500 Kubikkilometer Gestein weggewaschen wurden. Man geht davon aus, dass das Mittelmehr so innerhalb von etwa 2 Jahren wieder volllief, und in der Spitze das Wasser dabei bis zu 10m am Tag anstieg. Man mag sich gar nicht vorstellen, was das für das Leben dort und auf dem ganzen Planeten bedeutet hat, denn so eine gigantische Wasserbewegung sorgte sicherlich auch für Klimaveränderungen auf den ganzen Planeten. Die entstehende Straße von Gibraltar trennt zumindest einen Teil der europäischen Kontinentalplatte oberflächlich von Europa. Trotzdem gehört das Gebiet nördlich des Atlas Gebirges erdgeschichtlich eigentlich zu Europa. So ist es auch nicht verwunderlich, dass das Atlas Gebirge eigentlich erdgeschichtlich so gar nicht zu den anderen Gebirgen in Afrika passt, die alle sehr viel älter sind. Diese sind zwischen 550 Millionen und 4,5 Milliarden Jahre alt, die jüngsten erdgeschichtlich also eher zum Antiatlas passen. Und anders als die meisten anderen Gebirge in Afrika, mit Ausnahme der im südlichen Afrika, reich an Rohstoffen sind. Im Atlas gibt es Vorkommen von Kupfer, Eisenerz, Bleierz, Quecksilber, Kobalt und vor allem Phosphat. Darüber hinaus in geringem Umfang auch Silber, Steinkohle und Erdgas.