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Kamtschatka

Warum ausgerechnet Kamtschatka, und wo liegt das überhaupt. Um das Pferd von hinten aufzuzäumen. Der eine oder andere aus meiner Generation, also alle die noch ohne Handy, oder genauer müsste man eigentlich Mobildevice sagen, aufgewachsen sind, kennen vielleicht noch das Gesellschaftsspiel Risiko. Da ist Kamtschatka ein eigenes Land, dass den strategisch wichtigen Übergang nach Nordamerika schafft. Das ist so richtig wie falsch. Kamtschatka ist tatsächlich eine Teilprovinz von Russland, und in Wirklichkeit deutlich kleiner als im Spiel, hat aber immer noch etwa die Fläche von Deutschland. Wobei man auch wieder zwischen der Verwaltungseinheit und der Halbinsel unterscheiden muss, die Verwaltungseinheit ist etwas größer als die Halbinsel. Für alle die das Spiel nicht kennen, die grobe Erklärung die Halbinsel liegt an der Pazifikküste Russlands, und das auch auf ähnlichen Breitengraden wie das bei Deutschland der Fall ist. Und Alaska, also Amerika, liegt zwar mehr als ein Steinwurf entfernt, ist aber schon relativ nah.

Nun zum ersten Teil der Einleitung, warum Kamtschatka, und die sich dann häufig sofort anschließende Frage dazu: Was will man da, gibt es da irgendwas? Ja, eine Menge Platz und wenige Menschen. Und dann ist Kamtschatka ein vielleicht sogar das aktivste tektonische und vulkanische Gebiete auf unserem Planeten. Nirgendwo sonst gibt es auf so kleinem Raum mehr aktive Vulkane. Dazu war die ganze Halbinsel bis in die 90er Jahre militärisches Sperrgebiet, und durfte nicht von Ausländer besucht werden - außer natürlich den Militärs der befreundeten Staaten. Wobei es aber blauäugig wäre, automatisch daraus zu schließen, dass die Natur dort unberührt geblieben ist. Auch damals gab es dort schon Forstwirtschaft und auch Bodenschätze wurden schon früher ausgebeutet. Und doch liegt die Halbinsel weit abgeschieden vom Rest der Welt. Es gibt beispielsweise keine Straße oder auch nur richtige Piste um vom russischen Festland in den eigentlich nur wirklich bewohnten Süden der Halbinsel zu gelangen, es bleibt also nur Flugzeug oder Schiff, um dort hin zu gelangen. Und Kamtschatka ist bekannt für seine Bärenpopulation. Insbesondere am Kurilensee gibt es praktisch eine Bärengarantie, wobei ich selbst nicht dorthin gefahren bin, da ich bereits auf einer anderen Reise in Alaska was ähnliches auf Katmai sehen durfte. Aber dennoch habe ich eigentlich schon im Vorfeld auf Bären spekuliert. Zumal ich wusste, dass zu meiner Reisezeit die Lachse ziehen würden, und die sind für die Bären buchstäblich ein gefundenes Fressen, und eine wichtige Möglichkeit sich den nötigen Winterspeck anzufuttern. Ich bin im August in Kamtschatka unterwegs, und dann ist der russische Winter mit enormen Schneemengen nicht mehr so weit, es also für die Bären höchste Zeit sich darauf vorzubereiten.

1.-3. Reisetag          Paratunka 10.08.– 12.08.2018

Dieses Reisetagebuch beginnt schon mal seltsam, der erste Eintrag beinhaltet gleich drei Reisetage. Es scheint also irgendetwas ein bisschen merkwürdig zu sein. Die Auflösung ist relativ simpel. Ich fahre am 9. August mit dem Zug nach München. Es geht gegen 10:30 Uhr auf dem Heimatbahnhof los, hätte jedenfalls losgehen sollen. Aufgrund von umgestürzten Bäumen insbesondere im Raum Hamburg ist meine Bahn 10 Minuten verspätet. Eigentlich entspricht das genau meiner Umsteigezeit auf dem Hauptbahnhof in Bremen. Es ist aber kein Problem, da auch der Anschlusszug etwas verspätet ist. So geht es wie geplant nonstop in die bayerische Landeshauptstadt. Von dort dann mit der S-Bahn weiter in Richtung Flughafen. An der letzten Haltestelle davor in Hallbergmoos steige ich schließlich aus. Die Haltestelle liegt ein bisschen außerhalb, von hier sind es noch etwa 2 km zu Fuß bis zu meinem Hotel. Im Vorfeld hatte ich gelesen, es gäbe eine Bushaltestelle direkt vor dem Hotel, nur braucht man mehr als 2 Stunden um vom Bahnhof dahin zu gelangen. Und auch am nächsten Morgen wird mir die Haltestelle nichts nutzen, da die Busse hier dann schlichtweg noch nicht fahren. Nach einem schnellen Abendessen gehe ich ziemlich früh ins Bett, so bin ich gegen 21:00 Uhr bereits eingeschlafen.

Am 10. August geht es einigermaßen früh wieder raus, mein Taxi fährt gegen 6:45 Uhr in Richtung Flughafen. Die Alternative wäre gewesen, wieder die Strecke vom Vortag zurück zu laufen, nichts was ich mir am frühen Morgen schon wünsche. Zumal meine Reisetasche zwar wasser- und staubdicht ist, und auch Schultergurte hat, aber den Tragekomfort eines Rucksacks bietet sie bei weitem nicht. So waren die beiden Schultern gestern bereits ein kleines bisschen gerötet. Und schon vor dem Beginn der eigentlichen Reise, auf der wir wieder, wenn auch nur mit einem Tagesrucksack, ein bisschen zu Fuß unterwegs sein werden, sind lädierte Schultern zum Start auch nicht gerade der Hit. Abgesehen davon gibt es in meinem Hotel am Wochenende, heute ist Samstag, Frühstück leider erst ab 7:00 Uhr. Bedeutet für mich, ich hatte noch keins. Ich bin wie vom Reiseveranstalter empfohlen bereits 3 Stunden vor dem Abflug am Flughafen und auch am Schalter der Aeroflot. Blöd nur, dass von der Fluggesellschaft noch niemand da ist. Gegen 7:30 Uhr nimmt man dann dort die Arbeit auf. Ich frage noch nach einem Gangplatz, und wie sich später in der Maschine herausstellen wird, ist es sogar einer am Notausgang, also mit etwas mehr Beinfreiheit, was mir natürlich sehr entgegenkommt. Der Sicherheitscheck am Flughafen geht relativ zügig, und so bin ich bereits eineinhalb Stunden vor dem geplanten Abflug am Gate und gönne mir mein Original „Flughafen Frühstück“ zu einem entsprechenden Preis in einer zu erwartenden Qualität. Aber das ist natürlich Jammern auf hohem Niveau.

Der Flug selbst startet planmäßig und landet ebenso planmäßig am Flughafen Scheremetjewo in Moskau. Er ist übrigens einer von vier großen internationalen Flughäfen im Umkreis von weniger als 50 km vom Stadtzentrum der russischen Metropole. Hier reisen wir offiziell in Russland ein, und müssen entsprechend an einem ziemlich grimmig dreinschauenden Grenzbeamten vorbei. Er vergleicht fast schon gekünstelt penibel das Passbild mit dem eigenen Antlitz. Hier bekommen wir auch ein kleines weißes Zettelchen ausgehändigt, das dann später bei der Ausreise zum Ende der Reise an gleicher Stelle wieder vorgelegt werden muss. Entgegen der zunächst gemutmaßten Informationen, konnten die meisten von uns das Gepäck direkt bis nach Petropawlowsk durchchecken. So bleibt es auch mir erspart, das Hauptgepäck über gefühlt den gesamten Flughafen zu schleppen. Angekommen sind wir im Terminal D, wo wir mit der Einreise in Russland quasi den Sicherheitsbereich verlassen, und dann rüber zum Terminal B müssen, dazu benutzt man auch die automatisch verkehrende Bahn des Flughafens, um dort wieder durch den Sicherheitsbereich zu gehen. Aus diesem Umstand rührt auch die Vorgabe, mindestens 1,5 Stunden für den Umstieg einzuplanen. Auch ohne das eigenhändige Bewegen des Hauptgepäcks geht auf diese Prozedur, die eigentlich zügig von Statten geht, eine gute Stunde ins Land, bis wir am Gate für den Weiterflug nach Kamtschatka, oder genauer gesagt eben Petropawlowsk, ankommen. Beim Boarding erleben wir eine positive Überraschung, unsere Plätze befinden sich in der Business Class. Auch hier starten wir wieder pünktlich. Während des Fluges sehen wir die Sonne über dem Mündungsbereich des mächtigen Strom Ob unter und auch sofort wieder aufgehen, weshalb es nie wirklich dunkel wird am Horizont.

Insgesamt beträgt die Flugzeit Moskau - Petropawlowsk rund achteinhalb Stunden, und ist damit der vermutlich längste Inlands-Linienflug der Welt. Wir landen sogar ein bisschen zu früh am Flughafen von Petropawlowsk, der sich aber genau genommen im ca. 40 km entfernten Elizovo liegt. Dabei befindet sich das Gepäckband außerhalb des Hauptgebäudes des Flughafens in einer Art Zelt. Wir sind ganz offensichtlich in der Provinz angekommen, von Deutschland aus gesehen am anderen Ende der Nordhalbkugel. Wie machen noch einen kleinen Stopp an einen Supermarkt, wo wir auch gleich die Gelegenheit nutzen, dort ein bisschen Geld aus dem Automaten zu ziehen. Immerhin stehen hier fünf Stück von verschiedenen Anbietern in Reih und Glied. Alle nehmen auch die bei uns üblichen Maestro-Karten an. Mein Automat bietet den Dialog sogar in Englisch an, was die Sache für mich nicht unwesentlich erleichtert, denn die kyrillischen Schriftzeichen sind mir doch sehr fremd. Das gleiche Gefühl beschleicht mich auch auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt. Irgendwie kommen mir die Werbeanzeigen sehr fremd vor, nicht nur dass ich praktisch keinen „Brocken“ russisch kann, durch die mir zusätzlich fremden Buchstaben bin ich zusätzlich verwirrt. Von hier geht es dann direkt nach Paratunka, unserem heutigen Quartier. Dort treffen wir am frühen Nachmittag des 12. August ein. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde machen wir uns noch auf in ein benachbartes Thermalbad. Der Zustand ist sichtlich nicht unbedingt mit westeuropäischen Standards vergleichbar und auch schon ein bisschen vom Zahn der Zeit gezeichnet, es hat zwei Becken von eher überschaubarer Tiefe, mit unterschiedlich warmem Wasser. Wobei das größere noch ein bisschen wärmer ist. Es wird von einer der hiesigen heißen Quellen gespeist, ist aber ansonsten eher wie ein Freibad bei uns. Das warme Wasser tut dem müden Körper sehr gut, verleitet aber auch nach der Rückkehr ins Hotel noch mehr dazu, sich hinzulegen, und einfach nur noch zu schlafen. Denn wie immer konnte ich im Flugzeug mal wieder nicht wirklich schlafen. Das höchste der Gefühle ist immer ein bisschen Dösen. Um dann aber nicht das Abendessen komplett zu verschlafen, und dann dafür irgendwann nach Ortszeit mitten in der Nacht aufzuwachen, beschäftige ich mich ein bisschen mit eigentlich sinnlosem herum geräume. Das Restaurant des Hotels versprüht ein bisschen den Charme einer Bahnhofshalle mit ein bisschen schriller Deko, dafür flimmert ein übergroßer Fernseher aus chinesischer Produktion im Hintergrund lautlos an der Wand. Die russischen Einblendungen bei den Nachrichten, helfen mir natürlich auch nicht wirklich weiter. Und trotzdem fällt der Blick immer wieder auf das Gerät, und wenn es auch noch so sinnlos ist. Nach den Nachrichten kommt dann noch ein alter amerikanischer Filmklassiker, was ich ehrlicherweise jetzt nicht unbedingt erwartet hatte. Aber für mich geht es heute ohnehin wieder früh ins Bett.

4. Reisetag          Esso – 13.08.2018

Heute steht unser erster Fahrtag auf dem Programm. Dazu kommt unser umgebauter Lkw zu unserem Hotel, in dem wir vor der Abfahrt noch schnell das Gepäck verladen. Das Küchenequipment und die Verpflegung für die nächsten Tage befindet sich bereits im Fahrzeug. Ab heute gehört neben dem deutschen Reiseleiter ein Fahrer, ein russischer Guide, ein Hilfsguide, eine Köchin und zeitweise der Sohn des Fahrers zu unserem Helferteam. Das Gefährt, mit dem wir unterwegs sein werden, ist ein russischer Kamaz vom Typ 43114. Dieser Typ wird seit 1995 nahezu unverändert produziert. Die ersten Vorgänger waren vor allem für das russischen Militär produziert worden. Er hat einen Diesel-Motor mit fast 11 Liter Hubraum, der 240 PS bzw. 912 Nm produziert, die er an seine sechs Räder verteilen kann. Damit schafft er Steigungen bis zu 31 %, was für mich ziemlich beachtlich scheint, wenn man bedenkt, dass das Fahrzeug dabei ein Leergewicht von rund 9,2 t aufweist, und zusätzlich eine Nutzlast von 6 t hat. Der Durchschnittsverbrauch liegt dafür oberhalb von 30 l, die Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeugs liegt bei rund 90 km/h. Wir sitzen in einer aufgebauten Kabine, die im hinteren Bereich einen Gepäckbereich und davor gut 15 Sitzplätze hat. Mit dem Fahrer im Führerhaus kann man nur mittels eines Funkgeräts kommunizieren. Die Technik des Fahrzeugs ist jetzt nicht gerade der neueste Schrei, aber eben robust und noch relativ einfach rein mechanisch zu reparieren, was sie natürlich für eine Gegend wie Kamtschatka besonders geeignet macht.

Wir machen uns also auf in Richtung Norden. Nach etwa 1,5 Stunden oder etwa 100 Kilometer Fahrt erreichen wir gegen 11 Uhr Sokoc, der Ort ist bekannt für seine Piroggen. Dabei handelt es sich um eine typisch russische Teigtasche, die es entweder gebacken oder frittiert gibt. Es gibt sie zum Beispiel mit Füllungen aus Rindfleisch mit Kartoffeln, Kohl, Hühnchen, Leber und Zwiebeln, süßem Quark oder je nach Saison auch mit Äpfeln oder Waldfrüchten. Sie kosten um die 100 Rubel, umgerechnet etwa 1,30 €, wobei mir eine als vorgezogenes Mittagessen oder zweites Frühstück allemal reicht. Von hier geht es die ca. 200 km weiter bis nach Milkovo. Der Ort ist mit etwas mehr als 8000 Einwohnern schon eine „Metropole“ in Kamtschatka, direkt an der großen Verbindungsstrasse innerhalb der russischen Provinz Kamtschatka in Richtung Norden gelegen. Nach dem Großraum Petropawlowsk und Jelisowo ist der Ort immerhin die drittgrößte Stadt in Kamtschatka. Überhaupt interessant an der Stelle vielleicht noch, dass man zwischen der Provinz Kamtschatka und der Halbinsel Kamtschatka unterscheiden muss. Die Provinz erstreckt sich noch ein bisschen weiter in Richtung Norden. Das hat an dieser Stelle aber bezüglich der Bevölkerung nahezu keine Auswirkung, sondern ist eher von der zusätzlichen Fläche geprägt. Die Provinz Kamtschatka hat nach der letzten Zählung im Jahr 2010 rund 320000 Einwohner, heute vermutlich ein paar Tausend weniger, das entspricht etwa der Einwohnerzahl von Städten wie Bielefeld, Bonn oder Münster. Nur sind die in Kamtschatka eben auf einer Fläche von 370000 Quadratkilometer verteilt, also etwa der Größe von Deutschland. Die Fläche bezieht sich auf die Provinz, die Halbinsel ist „nur“ rund 250000 Quadratkilometer groß. In Milkovo gibt es direkt an der Hauptstraße eine Tankstelle, die wir nutzen um unser Fahrzeug voll zu tanken. Während wir uns die Beine ein wenig vertreten, finden uns schnell die ersten Vertreter der hiesigen Tierwelt: Mücken. Aber nicht nur die kleinen lästigen Insekten bekommen hier ihre Mahlzeit, auch wir machen in Milkovo unsere „richtige“ Mittagspause. Dazu gehen wir in eine örtliche Kantine, direkt an der Hauptstraße gelegen. Gleichzeitig scheint es auch ein örtlicher Veranstaltungsraum zu sein, da ein Teil im Essbereich abgetrennt ist, und eine kleine eigene Bühne und ein paar aufwendiger dekorierter Tische aufweist. Die Toilette ist hier übrigens mindestens mal im Herrenbereich eine von arabischer Bauart. Die Hauptstraße in Milkovo ist geteert, was auf den letzten 100 Kilometern hierher nicht mehr der Fall war, und auch weiter nördlich von hier für die große Verbindungsstraße nicht mehr gilt. Wobei man sich inzwischen wieder dieses Themas angenommen hat, und ein lang geplantes Projekt mit der Asphaltierung der wichtigsten Verbindungsstraße der Provinz wieder angegangen ist.

Bis zu unserem Ziel sind es von Milkovo noch etwa weitere 200 km, für die wir auf den Schotterpisten bis ca. 19:00 Uhr brauchen. Inzwischen hat es auch begonnen leicht zu regnen. Immerhin sind während des Regens die Mücken nicht unterwegs, denn die sind hier oben sehr aggressiv. Auf dem Weg zu unserem heutigen Ziel Esso haben wir auf halber Strecke von Milkovo eine kurze Pause eingelegt, und waren praktisch sofort von riesigen Mückenschwärmen umgeben. Und die „Viecher“ sind hier ziemlich ausgehungert, und wie schon gesagt eben viele … sehr viele. Zum ersten Mal in meinem Leben überhaupt kommt hier mein Moskitonetz zum Einsatz. Schon nach kurzer Zeit waren 30-40 von den kleinen Blutsaugern an den eigenen Hosenbeinen. Immerhin sind sie in Esso in dem leichten Nieselregen beim Entladen des Fahrzeugs nicht aktiv. So haben wir bis 20:00 Uhr unsere Zimmer bezogen und sind bereit fürs Abendessen. Wobei ich von der Unterkunft positiv überrascht bin. Es handelt sich dabei um ein größeres Holzhaus mit mehreren Zimmern, richtigen Betten und insgesamt vier Gemeinschaftsbadezimmern, in denen es sogar warmes Wasser gibt. In der Reisebeschreibung war von „Hütte“ die Rede, das ist definitiv mehr, und einen kleinen Pool mit warmem Thermalwasser gibt es auch noch.

5. Reisetag          Esso – 14.08.2018

Wir starten gemütlich in den Tag mit Frühstück um 8:00 Uhr. Um 9:00 Uhr gehen wir in Richtung eines kleinen Museums in Esso, das sich mit den ethnischen Minderheiten in Kamtschatka vor allem aber mit den Evenen und Korjaken beschäftigt. Letztere sind übrigens nicht zu verwechseln mit den Kosaken, die allerdings bei der Besiedlung von Kamtschatka durchaus eine Rolle spielten. Die kriegerischen Kosaken waren vom russischen Zaren damit beauftragt, in seinem Namen den östlichen Teil des von ihm beanspruchten Machtbereichs überhaupt erst für ihn zu besetzen, oder soweit erforderlich auch mit Waffengewalt zu unterwerfen. Da diese dabei nicht gerade zimperlich Vorgingen, wurden die hiesigen indigenen Bevölkerungsgruppen beim Eintreffen der Kosaken deutlich dezimiert. Was allerdings teilweise auch auf das Einschleppen von bis dahin im heutigen Kamtschatka unbekannten Krankheiten zurückzuführen ist.

Das kleine Museum in Esso ist eigentlich dienstags geschlossen. Für angemeldete Gruppen macht der Direktor aber schon einmal eine Ausnahme, und öffnet heute extra für unsere Gruppe. Der Name Esso hat übrigens nichts mit der in Deutschland bekannten Tankstellenmarke zu tun, sondern stammt aus der Sprache der Korjaken und bedeutet dort Lärche. Einer Baumart die damals noch sehr verbreitet in diesem Bereich war. Heute dominiert auch hier die Birke, auch wenn am Tag der Herfahrt schon aufgefallen ist, dass es am Nachmittag überhaupt erst die ersten Lärchen in dem undurchdringlichen Wald am Straßenrand gab. Das mag durchaus damit zusammenhängen, dass das Gebiet um Esso herum offiziell Naturschutzgebiet ist, und deshalb der Holzeinschlag eingeschränkt ist.

Aber zurück zu unserem Tag. Am Eingang des Museums gibt es einen kleinen Shop, in dem man auch ein bisschen traditionelle Handwerkskunst der indigenen Minderheiten aus dem Norden Kamtschatka erwerben kann. Das Museum selbst besteht aus mehreren Gebäuden, die in den Stilen der Evenen bzw. Korjaken errichtet worden sind. Unser erstes Ziel ist ein Gebäude, das die Lebensweise der Evenen beleuchtet. Es gibt ein paar Präparate von heimischen Wildtieren, aber auch zahlreiche Alltagsgegenstände. Im Mittelpunkt des Gebäudes steht die klassische Aufteilung eines Zeltes in deren Mitte die Feuerstelle war, mit den Zelten zogen die Evenen umher. Sie unterhielten kleine Rentierherden, die sie als Zugtiere für ihre Schlitten nutzten. Von den Itenmenen übernahmen sie aber auch Hunde als Zugtiere für ihre Schlitten zu benutzten. Sie jagten wilde Rentiere, Elche, Schneeschafe, manchmal Bären, und Kleintiere wie etwa Erdhörnchen, Ziesel oder Murmeltiere. Sie fischten in den Flüssen mit Speeren und Netzen Lachse. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden sie dann durch die Sowjetisierung grundlegend in ihrer Lebensweise beschnitten. Sie wurden gezwungen, in festen Siedlungen zu leben. Einige von ihnen fanden Arbeit in Jagdbrigaden, in der Forstwirtschaft, in der Milchwirtschaft oder als Bauern. Dazu wurde ihr Leben sehr stark von der russischen Kultur beeinflusst, so dass ihre eigene nahezu verloren ging. Bei der letzten Volkszählung im Jahre 2010 gab es in ganz Kamtschatka noch rund 1800 Menschen, die sich als Evenen bezeichneten. Die Hälfte von ihnen lebte im Raum Esso. Die erwähnten Itenmenen sind als Volksgruppe in Kamtschatka praktisch völlig verschwunden, dabei waren sie es, die sich zuerst in Kamtschatka angesiedelt hatten. Sie waren es auch, die vor ca. 14.000 Jahren ins heutige Alaska übersiedelten. Wegen der seinerzeit herrschenden Eiszeit war der Meeresspiegel etwa 100 m niedriger als heute, und deshalb die Beringstraße, die den Nordosten Asiens von Alaska trennt, nahezu trockengefallen. Ihnen werden auch große Kenntnisse über den Einsatz der hiesigen Pflanzen in der Medizin zugeschrieben. Im Museum von Esso finden sich die Itenmenen außer mit ein paar größeren geschnitzten Holzfiguren aber nicht wieder. Den zweiten Schwerpunkt der Ausstellung setzen vielmehr die Korjaken. Sie zogen früher mit sehr großen Rentierherden vor allem im Norden Kamtschatkas umher. Das Rentier ist auch der Dreh und Angelpunkt im Leben der Korjaken. Sie lieferte Nahrung, Fälle für die Bekleidung oder als Baumaterial für ihre Zelte, Handelsgut und im Winter waren sie Zugtier für die Schlitten. Dabei bestanden die Herden der Rentiere häufig aus dem Besitz mehrerer Familien, die gemeinsam umherzogen, immer auf der Suche nach Nahrung für die Tiere. Über die Anzahl der Rentiere definierte sich der Reichtum und auch die soziale Stellung bei den Korjaken. Neben den umherziehenden Korjaken waren einige auch an den Küsten sesshaft. Sie betrieben Fischerei vor allem in den Flüssen, wozu sie auch zum Beispiel Reusen benutzten. Aber auch Meeressäugetiere wie Robben und Wale wurden von ihnen gejagt, dazu benutzten sie mit Robbenfällen bespannte Kajaks oder auch Einbäume aus Pappelstämmen. Ihre Behausung war klar in einen Männer- bzw. Frauenbereich gegliedert. Dort befanden sich dann auch die geschlechtsspezifischen Werkzeuge bzw. Utensilien. Auch dort war natürlich im Mittelpunkt der Behausung eine Feuerstelle. Sie lebten dabei in festen Behausungen, die mit Erdreich gegen die Kälte geschützt waren. Dabei gab es einen „Sommerausgang“, der durch einen niedrigen auf Erdbodenhöhe hinausführenden Gang bestand. Außerdem gab es einen „Winterausgang“, der über eine Luke in einigen Metern Höhe ins Freie führte. Damit wurde sichergestellt, dass man auch bei größeren Schneemengen, die hier durchaus üblich sind, einen sicheren Ausgang hatte. Wie auch die Evenen wurden die Korjaken in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts von den russischen Machthabern im fernen Moskau gezwungen, ihre alte Kultur und Lebensweise aufzugeben. Ihre großen Rentierherden wurden in kleine aufgeteilt, und die Menschen fanden in diesen Rentierbrigaden Arbeit. Es gab Vorgaben für die Produktion von Rentierfleisch, das zu festgelegten Preisen abgenommen worden ist. Wie auch die Evenen hatten die Korjaken Schwierigkeiten sich in ihrer aufgezwungenen Lebensweise zurecht zu finden, immerhin wurden sie dabei von einem neuen Sozialsystem aufgefangen, und viele Dinge des täglichen Lebens von der fernen Zentralregierung subventioniert. Mit dem Ende der Sowjetunion fielen aber viele Mitglieder der indigenen Bevölkerungsgruppen in die Armut. Bei den Korjaken gibt es zwar Märkte für ihr Rentierfleisch in Japan oder China, aber die Preise in Kamtschatka sind schlecht, und den meisten Profit machen Zwischenhändler, die die Ware auf die weit entfernten Märkte bringen.

Am Nachmittag besuchen wir noch eine Korjakin, die versucht ihre alte Kultur am Leben zu erhalten. Was aber schwer genug ist. Sie selbst spricht kaum noch die alte Sprache der Korjaken, und hat auch niemanden mehr, mit dem sie sich in der Sprache unterhalten könnte. Es gibt lediglich noch ein paar Greise, die die Sprache noch sprechen, womit das völlige Aussterben der Sprache nur noch eine Frage der Zeit ist, was so im Prinzip auch auf die anderen indigenen Bevölkerungsgruppen 1:1 übertragen werden kann. Dazu muss man wissen, dass die Russen die Kinder systematisch von ihren Eltern trennten, wenn diese zu Schule kamen. Damit wurde die Übertragung der Sprache, der Sitten und Gebräuche aber auch der Religion von den Eltern auf die Kinder unterbunden. Wie alle indigenen Bevölkerungsgruppen im heutigen Kamtschatka waren auch die Korjaken ursprünglich Angehörige eine Naturreligion, die auch dem Schamanismus anhingen. Die Schamanen vermittelten bei den Korjaken zwischen den Welten. Sie glaubten an eine Götterwelt, eine Welt in der die Ahnen eingingen, und die Welt der Menschen auf der Erde. Bei den Korjaken waren die Schamanen übrigens weiblich, bei den Evenen dagegen männlich. Die Zerstörung der Kulturen wurde durch die Zwangsumsiedlung von Russen in das heutige Kamtschatka zusätzlich forciert. So sind viele Dinge aus den alten Kulturen der indigenen Gruppen im heutigen Kamtschatka für immer verloren gegangen. Pikanterweise übernehmen die Gruppen heute Überlieferungen zu ihrer Kultur aus Forschungsreisen von russischen Expeditionen vor teilweise mehr als 200 Jahren. So sind die Aufzeichnungen von Georg Wilhelm Steller im Zuge der „Großen Nordischen Expedition“ zwischen 1733 und 1743 die größte und detaillierteste Quelle zum Leben der Itenmenen, und bei den Korjaken ist es Vladimir Jochelson mit seinen Aufzeichnungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Gegen 15:45 Uhr sind wir zurück an unserer Unterkunft, wo wir uns noch kurz auf unsere erste kleinere Wanderung vorbereiten. Es geht einen kleinen Berg am Rande von Esso hinauf. Insgesamt vielleicht rund 200 Höhenmeter. Der Aufstieg verläuft ziemlich steil einen Hang hinauf, der meist komplett mit Büschen umsäumt ist. Der Abstieg auf einer anderen Route verläuft deutlich flacher, und führt durch hohes Gras und anderen Pflanzenbewuchs, der schon mal 1,50m übersteigt. Dort sind die Mücken dann auch wieder deutlich aktiver, die beim Aufstieg noch erstaunlich zurückhaltend waren, und nur bei kurzen Pausen ein bisschen problematisch waren. Heute Nachmittag habe ich übrigens auch über einen längeren Zeitraum mein Mückennetz getragen, da diese kleinen Blutsauger schon ziemlich lästig sind, und auch nicht lange fackeln, um an menschliches Blut zu kommen. Gegen 19:00 Uhr sind wir zurück, es bleibt noch ein bisschen Zeit, um schnell in den Thermalpool zu steigen, und das warme Wasser auf die von der Wanderung beanspruchten Muskeln, aber auch auf die Mückenstiche wirken zu lassen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass insbesondere letzteres durchaus eine Wohltat ist. Das Wasser im Pool ist übrigens nur deshalb sehr angenehm warm, da es mit kaltem Wasser gemischt wird. Im Gegensatz zum Thermalpool wird das Wasser für die vorhandenen Duschen in unserer Unterkunft übrigens mittels einer Holzheizung erwärmt, was auch der Grund ist, dass es heute Morgen planmäßig lediglich bis 9:00 Uhr warmes Wasser gab. Aber zu der Zeit waren wir ja ohnehin schon unterwegs.

6. Reisetag          Tolbatschik – 15.08.2018

Heute ist wieder ein Fahrtag. Wir wollen von Esso zu einem Zeltplatz in der Nähe des Tolbatschik. Das Frühstück ist vorverlegt auf 7:30 Uhr, Abfahrt soll dann gegen 9:00 Uhr sein. Alles verläuft nach Plan, und wir halten bereits kurz vor neun in Esso in der Nähe einer kleinen Bäckerei, um die Brotvorräte aufzufüllen. Dann geht es auch los. Das erste Stück geht es auf dem Weg zurück, auf dem wir auch gekommen sind. Vorbei an einem Wasserkraftwerk mit drei Turbinen von je 570 KW Leistung, die die umliegenden Orte mit Strom versorgen. Zurück auf der Hauptstraße durch Kamtschatka geht es noch ein kleines Stück weiter in Richtung Norden. Wir überqueren dabei noch den Fluss Kamtschatka. Gegen ca. 11:00 Uhr geht es dann in einen kleinen unscheinbaren einspurigen Weg mitten durch den Wald. Wegweiser oder Ähnliches sucht man vergeblich. In dieser „Wildnis“ helfen einem entsprechend nur gute Ortskenntnisse oder aber GPS Koordinaten. Die Wegverhältnisse sind ein bisschen schwierig, aber für unseren Kamaz kein Problem. Auch wenn an der einen oder anderen Stelle das ganze Fahrzeug innerhalb der teilweisen sehr tiefen Furchen auf dem Weg seitlich ein bisschen wegrutscht. Das Problem ist schlicht, dass an einigen Stellen tiefe Fahrspuren mit Wasser gefüllt sind. Und es ist im Vorfeld nicht klar wie tief das Wasser sein könnte, oder wo genau die Spuren verläuft. So sieht man an einigen Stellen auch, dass Fahrzeuge seitlich an die Bäume geschlagen sind. Wobei die meisten Anschläge durch Fahrzeuge wie unseres verursacht wurden, da sie aufgrund der Aufbauhöhe bei einer seitlichen Neigung natürlich im oberen Bereich stärkeren Schwankungen ausgesetzt sind. Ansonsten streifen die Blätter der umstehenden Bäume praktisch unentwegt am Fahrzeug entlang. Überhaupt ist die Strecke nur mit einem geländegängigen Fahrzeug zu machen. Ein bisschen schwierig wird es, wenn Fahrzeuge entgegenkommen, da sie auf dem Weg schlicht nicht aneinander vorbeikommen. Es bleibt also nur, eine Stelle mit jüngeren und damit dünneren Bäumen zu suchen, und kurzerhand mit der Kraft des LKWs eine kleine Schneise hinein zu „walzen“. Ist das entgegenkommende Fahrzeug vorbei wird zurückgesetzt und es geht weiter.

Unsere Mittagspause machen wir an der einzigen möglichen Stelle dafür: ein trockengefallenes Flussbett. Wer aber natürlich schon auf uns gewartet hat sind gefühlte Millionen von Mücken. Das gilt so auch für jeden anderen Stopp, den man unterwegs einlegt. Sobald die Türen des Fahrzeugs geöffnet werden, sind die kleinen Quellgeister sofort zur Stelle. Steigt man aus, heißt es unentwegt in Bewegung bleiben. Das Essen mit Mückennetz ist logischerweise ein bisschen schwierig, aber auch so finden die Viecher immer einen Weg. Zurück im Fahrzeug, starten wie nach jeder Rast zunächst die große Jagd auf die Mücken im Fahrzeug. Man kommt leicht auf ein Verhältnis von zwanzig zu eins. Also 20 Mücken auf einen Menschen. Im Verlauf der Fahrt machen wir noch einen kurzen Fotostop an einer großen Halde von Vulkangestein, dass sich hier bis an die derzeitige Piste im Zuge eines früheren Vulkanausbruchs heran geschoben hat. Das war auch der Grund, warum man die alte Strecke heute nicht mehr nutzen kann, sie ist schlicht durch das meterhohe Vulkangestein verschüttet worden. Ich schätze, dass sich das Gestein an der Stelle an der wir halten auf der Höhe von 6 – 8 m über den früheren Wald gewälzt hat, und dann schließlich eben dort zum Stehen gekommen ist. An unserem Ziel herrscht zunächst nur ein bisschen Wind, und sofort begrüßen uns auch hier die Stechinsekten wieder. Wenn auch wegen des leichten Windes etwas gemäßigter als vorhin am Fotostop, der praktisch im Wald gelegen war.

An dieser Stelle ist es ein guter Zeitpunkt um auf die Forstwirtschaft in Kamtschatka einzugehen. Etwa die Hälfte der Fläche Kamtschatka ist mit Wald bedeckt, wobei der hohe Norden durch ausgedehnte Tundra Flächen geprägt ist, entsprechend ist der Anteil in der Mitte und im Süden noch größer. Wir sprechen hier immerhin von knapp 200.000 km² oder 20 Millionen Hektar Wald. Etwa ein Viertel davon befindet sich in strengen Schutzzonen und darf offiziell nicht bewirtschaftet werden, dazu gehören auch die Flächen um Esso, wo hier heute Morgen aufgebrochen sind. Weitere 1,2 Million ha haben einen niedrigeren Schutzstatus und dürfen eingeschränkt bewirtschaftet werden. So bleiben rund 13,5 Millionen ha wirtschaftlich nutzbarer Wald. Dabei lässt die Nutzung des Waldes in Kamtschatka nach. Im Jahre 1998 wurden noch 35.000 ha Forstkulturen angelegt. Zehn Jahre später war es nur noch rund ein Zehntel der Fläche. Und lediglich knapp 300 ha wurden überhaupt gezielt neu angepflanzt. Bei den restlichen Flächen vertraut man einfach auf die natürliche Regeneration des Waldes nach einer Forstwirtschaft, die durch den völligen Kahlschlag geprägt ist. Nicht unwesentlich werden auch Flächen durch Waldbrände zerstört. Die letzte mir vorliegende Zahl stammt aus dem Jahre 2006 und betraf eine Fläche von 225.000 km². Eine offizielle Statistik darüber wird aber nicht geführt. Man überwacht auch nur gezielt ca. 10 % der Fläche auf Waldbrände. Weit verbreitet sind Baumarten wie Birken inklusive der hier häufig vorkommenden Steinbirken, Weißbirken und Lärchen. Es gibt in geringeren Maßen auch Fichten, oder auch Pappeln, Erlen und Weiden, die insbesondere zur Uferbefestigung der zahlreichen Flüsse einen wichtigen Beitrag gegen die Wassererosion leisten. Die Steinbirken bedecken eine Fläche von fast 6 Millionen ha. Sie wird wegen ihrer Härte und der guten physikalisch-mechanischen Eigenschaften vor allem im Haus- und Schiffsbau aber auch im Möbelbau genutzt. Sie findet aber auch als Brennholz regen Zuspruch. Der Gesamtvorrat schlagfähigen Holz beträgt in Kamtschatka etwa 1,2 Milliarden m³, davon entfallen etwa 880 Millionen m³ auf Birke und dort vor allem auf Steinbirke. Nadelholz trägt etwa 107 Millionen m³ zum Holzvorrat bei. Nach staatlichen Angaben beträgt das Einschlagpotenzial pro Jahr bei einer nachhaltigen Waldwirtschaft etwa 1,8 Millionen m³. Tatsächlich wurden in den letzten Jahren aber lediglich 200.000 m³ geerntet. Dabei spielt die Nutzung als Brennholz eine wesentliche Rolle. Soweit hört sich das rein statistisch gesehen noch positiv an. Das Problem ist aber, dass nur ein sehr kleiner Teil des Waldes tatsächlich und dann sehr intensiv genutzt wird. Das ist vor allem das Gebiet im Großraum Milkovo. Dort gibt es eine gewisse Infrastruktur für die Forstwirtschaft, incl. der nötigen Wegbefestigungen. Und dort wird deutlich schnelle abgeholzt als aufgeforstet und nachwachsen kann. Das hat inzwischen schon Auswirkungen auf den Grundwasserspiegel, der dort nicht mehr gehalten werden kann und langsam abfällt. Ausgebaut wird die Forstwirtschaft überall dort, wo die Zuwegung sich verbessert. Wobei der Straßenbau selten zur Verbesserung der allgemeinen Infrastruktur oder der besseren Anbindung entlegener Siedlungen dient, fast immer steht die Verbesserung zur Ausnutzung von natürlichen Ressourcen als Ziel dahinter, dient also zumeist der Ausbeutung von Bodenschätzen, damit einhergehend wird dann auch die Infrastruktur für die Forstwirtschaft verbessert, und damit nicht selten die Forstwirtschaft in den „neu erschlossenen“ Gebiet ebenfalls intensiviert. Grundsätzlich lässt sich aber sicherlich sagen, dass die Forstwirtschaft noch deutlich hinter der in Sibirien zurück ist, wobei letztere durchaus einen gewissen Einfluss auf den Weltmarkt erreicht hat.

Aber zurück zu unserem Tag. Denn auch hier im Camp am Tolbatschik befinden wir uns im Wald -genau genommen im toten Wald. Genau durch diesen möchten wir später noch ein bisschen spazieren gehen. Zuvor gibt es aber noch warme Getränke, und wir bauen zum ersten Mal unsere Zelte auf. Zu meiner Verwunderung gibt es dafür keine Schutzfolien unter den Zelten gegen aufsteigende Feuchtigkeit oder auch als Schutzschicht für den Zeltboden. Gegen 15:00 Uhr waren wir hier eingetroffen etwa eineinhalb Stunden später starten wir den kleinen Spaziergang. Der uns umgebende tote Wald ist Opfer des Vulkanausbruchs des Tolbatschik im Jahre 1975/1976 geworden. Durch den Ausbruch wurde das direkte Umfeld mit einer meterdicken Schicht von Vulkanasche bedeckt. Im Bereich des Camps ist diese etwa 4 m dick. So ist praktisch nur noch der obere abgestorbene Teil der Bäume sichtbar. Aber auch wenn diese Umgebung extrem lebensfeindlich ist, beginnt sich der Wald zu regenerieren. Ein paar kleine Bäumchen sind bereits da, und auch Gras beginnt sich wieder zu bilden. Allgemein dominieren aber noch die abgestorbenen Bäume bzw. deren Skelette die Landschaft. Aufgrund der dunklen Wolken am Himmel wirkt die Szenerie des toten Waldes noch zusätzlich ein bisschen mystischer. Und zu unserem Leidwesen hat auch der kalte Wind aufgefrischt und lässt mich ein bisschen frösteln. So verkrieche ich mich heute auch schon gegen 9 Uhr direkt in meinen Schlafsack und verschiebe alles andere auf morgen. Immerhin sorgt der kalte Wind auch dafür, dass sich die Mücken auf ein ziemlich erträgliches Maß reduziert haben.