8. Reisetag Anavilhanas (Rio Negro) - 09.08.2024
Heute geht es ziemlich geruhsam in den Tag. Frühstück ist erst um 7:30 Uhr. Kurz vorher verlässt das Schiff auch wieder seinen Liegeplatz der letzten Nacht, und der große Diesel brummt vor sich hin. Während der Nacht läuft immer nur ein kleiner Motor, der für Elektrizität sorgt, und wesentlich leiser ist, aber doch als Hintergrundgeräusch in den Kabinen zu vernehmen ist. Solange einer der Motoren läuft, wird auch über ein Rohrleitungssystem frische Luft in die Kabinen gepustet. In Bad gibt es diese sehr einfache Variante von Air-Condition nicht, weshalb es dort immer noch ein bisschen wärmer ist. Was mich aber morgens immer wundert, ist das Kondenswasser, was sich morgens auf dem Oberdeck bildet. Die Temperaturen sind vermutlich am Morgen keine 5°C niedriger als am Tage. Aber die Luftfeuchtigkeit scheint so hoch zu sein, gefühlt auf jeden Fall, dass die kleine Differenz ausreicht, dass das Wasser dort dann kondensiert.
Bei unserem ersten Stopp gegen 9:30 Uhr machen wir einen weiteren Spaziergang durch den Regenwald. Hier ist dieser gefühlt sehr viel abwechslungsreicher. Es finden sich auch verschiedene Stufen der Pflanzenhöhen, von den ganz kleinen bis zu den Baumriesen. Unterwegs bekommen wir auf dem Weg immer wieder kleine Erklärungen zu verschiedenen Pflanzen, die für ganz unterschiedliche Dinge eingesetzt wurden. Bei manchen können aus der Baumrinde die Fasern relativ feingliedrig aufgetrennt werden, und die verschiedenen Fasern dann wieder zu Seilen bis hin zu dicken Tauen geflochten werden. Diese können dann enorme Kräfte aufnehmen bzw. Gewichte tragen. Besonders dabei ist, dass man auch die einzelnen Fasern praktisch nicht knicken kann. Man kann sie zwar 90° oder mehr falten, aber an der Faser sieht man davon anschließend nichts. Bei anderen Pflanzen wurden die Wurzeln zerschnitten und mit ein bisschen Wasser zerrieben. Das ergab dann ein tödliches Gift, das mit ein bisschen Maniok vermengt zum Fischen benutzt wurde. Dazu verstreute man das vergiftete Maniok auf der Wasseroberfläche, und die Fische, die es fraßen, schwammen kurz darauf tot auf der Wasseroberfläche. Um diese dann verzehren zu können, mussten diese aber gut durchgegart werden. Aus anderen Baumrinden wurde Gift für Pfeile gewonnen, oder wieder andere konnten bei Zahnschmerzen oder bei Verdauungsproblemen helfen. So kommen wir auch an einem Kautschukbaum vorbei, aus dem der Naturkautschuk sofort heraus fliest, wenn die Rinde ein wenig beschädigt wird. Der Naturkautschuk klebt sofort an den Fingern und bildet einen weißen Gummiüberzug. Nach ein bisschen Reiben trocknet die Masse relativ schnell aus und bröselt von den Fingern wieder ab. Eben diese Kautschukbäume sorgten für den unfassbaren Reichtum zum Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts einiger Familien in Manaus. In der Hochzeit des Kautschuks waren hier zehntausende Arbeiter damit beschäftigt, Kautschukbäume anzuschneiden und den Saft aufzufangen. Wieder andere erhitzten die Masse, um sie dann zu großen Blöcken für den Weitertransport zu formen. Viele der Arbeiter, die nicht selten eher wie Sklaven gehalten wurden, starben bei dieser Arbeit schon nach wenigen Jahren. Viele von ihnen bekamen zunächst einen kleinen Vorschuss und ein paar Güter, die sie dann durch ihre Arbeitskraft, also der Arbeit bei der Kautschukernte abarbeiten sollten, aber die Vergütung war so gering, dass sie im Prinzip keine Chance hatten, ihre Schulden je zu bezahlen. Oder Indigene bekamen einfache Waffen, und mussten dafür Angehörige anderer Stämme als Zwangsarbeiter abliefern. So sorgten die Kautschukbarone bzw. deren Untergebenen dafür, einen ständigen Nachschub an billigen Arbeitern zu bekommen, die sie dann ausbeuteten. Kautschuk wurde überhaupt erst zum kostenbaren Handelsgut durch die Erfindung der Vulkanisierung durch Charles Goodyear im Jahre 1839. Plötzlich gab es einen riesigen Bedarf an Kautschuk, weil man anfangs Kleidung wie Jacken und Schuhe gegen Wasser abdichten konnte. Dann konnte man es für die Produktion von Reifen, zunächst bei Fahrrädern später auch bei Autos verwenden. Aber auch in der Elektroindustrie zur Isolation oder im Maschinenbau konnte es eingesetzt werden. Und die Kautschukbarone ließen sich ihren in der Produktion günstigen Rohstoff sehr teuer bezahlen. Bereits 1832, also noch vor der Erfindung der Vulkanisierung begann man in Peru mit der Ernte von Kautschuk. Aber mit der Erfindung wurde daraus praktisch über Nacht ein riesiges Geschäft. Im heutigen Peru teilten Kautschukbarone Teile des Landes im Grenzgebiet von Peru, Ecuador, Kolumbien und vor allem Brasilien, in denen Kautschukbäume wild in den Wäldern wuchsen, unter sich auf, in denen sie mit Privatarmeen ihre meist indigenen Arbeiter mit Waffengewalt unterdrückten. Allein im Gebiet um den Fluss Putzmayo, der später in den Amazonas mündet, beanspruchte Julio Cesar Arana eine Fläche von 113000qkm für sich, zum Vergleich Deutschland hat eine Fläche von 357000 qkm. Alleine dort kamen mehr als 30000 meiste indigene Arbeiter durch Misshandlung oder eingeschleppte Krankheiten zwischen 1881 und 1915 ums Leben. Man transportierte das gewonnene Kautschuk dann über den Amazonas zunächst bis nach Manaus, was anfangs wenig mehr als ein größeres Dorf war, wo es dann weiter in Richtung Europa oder Nordamerika verschifft wurde. In Manaus hatten auch die Kautschukbarone ihren Sitz. Schon bald verfügte die entstehende Stadt über Straßenbeleuchtung, Trinkwasser- und auch Abwasserleitungen. Und aus eben ihren exorbitanten Gewinnen führten die Kautschukbarone dort dann ein Luxusleben. Das Teatro Amazonas wurde ebenfalls aus den Gewinnen bezahlt. Der Bau kostet die damals unvorstellbare Summe von 2 Millionen Dollar. Zum Vergleich im Jahre 1867 kaufte die USA ganz Alaska für 7,2 Millionen von Russland. Gebrochen wurde das Monopol der Kautschukbarone schließlich durch die Briten. Sie wollten ebenfalls ihren Teil an den Gewinnen. So beauftragte der Botaniker Joseph Hooker im Jahre 1876 Henry Wickham damit, Samen des Kautschukbaums zu besorgen. Henry Wickham sammelte 70000 Stück, und brachte sie nach London, woraus dort 2000 kleine Bäume gezogen werden konnten. Diese brachte man in die südostasiatische Kolonie im heutigen Malaysia. Ganze 8 Bäume überlebten die Fahrt, bilden aber bis heute das Fundament der Kautschukproduktion in Südostasien. Man begann dort Plantagen anzulegen, was in Brasilien zuvor nicht gelang, weil die Pflanzen dort von Pilzen befallen wurden und eingingen. Aber mit der Produktion in Südostasien war das Monopol gebrochen, und die Preise fielen deutlich. Heute wird Naturkautschuk vielfach durch synthetischen Kautschuk ersetzt. Nur noch wenige Bereiche wie die Flanken von Reifen insbesondere bei hochbelasteten etwa von Autos, LKWs oder Flugzeugen werden bis heute mit Naturkautschuk hergestellt, da dieser größere Kräfte aufnehmen können.
Aber zurück zu unserem Spaziergang durch den Regenwald. Auf unserem Weg kommen wir noch an einer Wanderpalme vorbei, durch ihre langen Luftwurzeln, die vom Stamm zur Erde wachsen, ist es ihr möglich, wenn auch sehr langsam ihren Standort minimal zu verschieben. Der Begriff „wandern“ ist an der Stelle ein bisschen großspurig. Außerdem kommen wir noch an einer Art des Brasilbaums vorbei. Andere Arten der Brasilbäume, die vor allem im Küstenstreifen im Nordosten zu finden sind, wurden nach der Entdeckung von den Portugiesen nach Europa geschafft. Aus ihrem roten Holz ließ sich Farbe herstellen, die zum Färben von Kleidung geeignet war. Und gerade der Adel und auch höhere Kirchenmänner wie Kardinäle schmückten sich bevorzugt mit roten Gewändern. Von diesen Bäumen hat Brasilien übrigens auch seinen Namen bekommen. Ursprünglich nannten die Portugiesen es Vera Cruz. Es bürgerte sich dann wegen der Herkunft des Brasilholzes zunehmend die Bezeichnung Brasilien ein.
Als wir nach etwa 2 Stunden zurück an unserem Schiff sind, gibt es noch eine Gelegenheit im Nebenfluss des mächtigen Rio Negro bis zum Mittagessen um 12:30 Uhr zu baden. Dann setzt sich unser Schiff auch wieder in Bewegung. Unser Ziel sind die Anavilhamas. Dabei handelt es sich um ein weitestgehend unbewohntes Inselarchipel mitten im Rio Negro. Es ist übrigens mit seinen über 400 Inseln das größte Inlandarchipel der Welt. Die genaue Anzahl der Inseln variiert allerdings unterjährig, weil viele zeitweise komplett überflutet werden. Hier hat auch der Rio Negro seine maximale Breite, manche Quellen sprechen von über 20 km andere geben 27 km an. Auch hier ist wegen der üblichen Überflutung während der Regenzeit natürlich kaum eine wirklich präzise Angabe zu machen.
Am späten Nachmittag ab 16:00 Uhr unternehmen wir noch eine Fahrt mit unserem Beiboot, in der Hoffnung noch ein paar Vögel vor die Linse zu bekommen. Das gestaltet sich wegen des dichten Regenwaldbewuchses allerdings relativ schwierig. Und im Flug sind sie ein noch viel schwereres Fotomotiv. Es ist aber auffällig, dass es am Amazonas deutlich mehr Vögel gibt als hier am Rio Negro.